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Differenzierung als bildungspolitischer Konsens


Mit Blick auf die verstärkte Globalisierung der Märkte fordern Wirtschaft und Politik wissenschaftliche Spitzenleistungen, sowohl was verwertbare Forschungsergebnisse, als auch die Qualifikation von AbsolventInnen betrifft. Um das zu erreichen, soll angesichts begrenzter Ressourcen zum einen das bisher für Deutschlands Hochschulen typische einheitliche Niveau des Qualifikations- und Forschungsstandards weichen, sind Hochschulen und Fachbereiche angehalten, eigene Profile entwickeln. Zum anderen soll das Studium in einen berufsqualifizierenden Teil für alle StudentInnen und einen wissenschaftlichen Teil für wenige zweigeteilt werden.

Bernhard Vogel fand dafür klare Worte: "Um den weltweiten Wettbewerb der Ideen und Innovationen zu bestehen, braucht die Bundesrepublik erstklassige Universitäten. Und das heißt unter anderem: erstklassige Wissenschaftler und einen erstklassigen wissenschaftlichen Nachwuchs. Gerade weil wir über Jahrzehnte mit dem Wort 'Elite' sehr ängstlich umgingen und für manche Leistung und Wettbewerb verpönte Begriffe waren, ist es wichtig zu sagen: Wir brauchen Eliten. Wir brauchen Elite-Universitäten, wir brauchen Elite-Hochschulen." Den Preis dafür, die Kehrseite gut ausgestatteter Einrichtungen, nennt Vogel nicht.

Die Idee, das Hochschulwesen zu differenzieren, ist alles andere als neu. Das zeigen eindrucksvoll die Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur "Neuordnung des Studiums an den wissenschaftlichen Hochschulen" aus dem Jahre 1966. Damals waren Differenzierungen gesehen worden als angemessene Reaktion auf die – aus wirtschaftlichen, teilweise auch aus sozialen Gründen – gewünschte Erhöhung des Anteils der Studierenden an einem Altersjahrgang. Die Differenzierungspläne bezogen sich zunächst auf eine Zweiteilung des wissenschaftlichen Studiums – in eine Berufsfähigkeit vermittelnde Phase und die in Aufbaustudiengängen anschließende Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses – und auf eine Differenzierung nach Hochschultypen. Die Einrichtung von Fachhochschulen fügte sich in den Kontext des Ausbaus der Hochwesen ein und wurde realisiert. Für eine Differenzierung nach Studienphasen dagegen gab es in den siebziger Jahren mit ihrem gesellschaftspolitischen Ziel der Chancengleichheit keinen Konsens; der Vorschlag blieb Theorie.

Anfang der achtziger Jahre weiteten sich die Differenzierungsforderungen aus. Nun sollten sich auch die Hochschulen gleichen Types auseinander entwickeln, sich profilieren, in den Wettbewerb miteinander treten. Der Wissenschaftsrat formulierte dieses Konzept 1985 aus. Bis Anfang der neunziger Jahre kam die Umsetzung aus zwei Gründen nicht voran: Erstens war Zeit dafür nötig, um die Rahmenbedingungen für eine Hierarchisierung der Hochschulen zu schaffen; allem voran mußte mit Rankinglisten ein Bewußtsein dafür erreicht werden, daß die Hochschulen in Deutschland entgegen der bisherigen Wahrnehmung verschieden sind in ihren Arbeitsschwerpunkten und ihrer Qualität in Lehre und Forschung. Zweitens äußerte sich die Westdeutsche Rektorenkonferenz (WRK) noch 1988 in ihrem Konzept "Die Zukunft der Hochschulen" skeptisch zu den Differenzierungsbestrebungen: Die Zweiteilung des Studiums lehnte sie ab; und ihre Zustimmung zum Wettbewerb knüpfte die WRK an die unwahrscheinliche Bedingung, er dürfe nicht zur Sparpolitik werden. Faktisch waren damit die Leistungen der Hochschulen gegen Differenzierungen, die über die nach Hochschultypen hinaus gehen. Und gegen die Hochschulen waren die Differenzierungskonzepte nicht durchsetzbar.

Eine Erkenntnis änderte die Einstellung der Hochschulen: die, daß entgegen aller Erwartung die Zahl der Studierenden in den neunziger Jahren nicht zurückgehen wird; die Überlastpolitik ist Dauerzustand. Der Sinneswandel schlug sich nieder im "Konzept zur Entwicklung der Hochschulen in Deutschland" der WRK-Nachfolgeorganisation Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Nun waren auch die PräsidentInnen und RektorInnen für eine Differenzierung nach Studienphasen und forderten eine horizontale Vielfalt im Sinne einer kostensparenden Arbeitsteilung. Von seiten der Hochschulen stand damit Anfang der neunziger Jahre einem Konsens nichts mehr im Wege.

Die wenigen verbliebenen GegnerInnen – auf der einen Seite der Deutsche Hochschulverband, auf der anderen die PDS, der Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) sowie Teile der Gewerkschaften und der Studierendenorganisationen – waren ohne großen politischen Einfluß. Dazu kommt, daß marktradikale Lösungen im Rahmen einer neoliberalen Deregulierungspolitik en vogue waren (These 4). Daß sich die politische Seite – die Regierungen in Bund und Länder – über eine Hochschulreform im geschilderten Sinne einig waren, zeigen zahlreiche sogenannte Modellversuche, mit denen die Länder die bildungspolitischen Eckpunkte einer wettbewerbsorientierten Steuerung der Hochschulen schon vor der Novelle des Hochschulrahmengesetzes umsetzen. In diesem Zusammenhang bedeutend ist die Rolle des Gütersloher Centrums für Hochschulentwicklung (CHE), das solche Projekte anstieß, begleitete und sich um deren Akzeptanz bemühte.

Das "Eckwertepapier" einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe aus dem Jahre 1993 war der Meilenstein, der den breiten bildungspolitischen Konsens markierte. Dessen konsequente und in den entscheidenden Punkten kaum umstrittene Umsetzung in Form der Vierten Novelle des Hochschulrahmengesetzes und der Novellierung der meisten Landeshochschulgesetze steht für dessen erfolgreiche Umsetzung.


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Michael Bayer, 27. Mai 2001