Sehr verehrter Herr Präsident, sehr verehrter Herr Professor Erichsen, meine sehr verehrten Damen und Herren,
die Bildungspolitik insgesamt – insbesondere die Hochschulpolitik – ist wieder in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt, und es bildet sich die Erkenntnis heraus, daß die Sicherung des Standortes Deutschland vor allem heißt: Sicherung des Wissenschaftsstandortes Deutschland.
Ich bedanke mich für die Einladung, vor diesem Plenum zu sprechen; für mich ist das eine Ehre, und ich freue mich, daß Sie heute abend Gäste in der Thüringer Landesvertretung sein werden. Für mich ist das immer noch nicht ganz selbstverständlich, daß die HRK, und nicht mehr die WRK, so selbstverständlich auch in Thüringen Gast sein kann wie früher in Rheinland-Pfalz oder in Bayern oder anderswo.
Ich beglückwünsche den neu gewählten Präsidenten, Herrn Professor Landfried, und, obwohl ich dafür keinen ausdrücklichen Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz habe, nehme ich meinen Besuch auch zum Anlaß, um lhnen, Herr Professor Erichsen, für jahrelangen außergewöhnlichen Einsatz zum Wohl der Deutschen Hochschulen und Universitäten zu danken: Herzlichen Dank für Ihre Leistung!
Sie erwarten von mir als gegenwärtigem Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz eine Einschätzung der Perspektiven der künftigen Hochschulentwicklung. Eine herausfordernde Aufgabe angesichts einer Diskussion, die vielschichtig und kontrovers geführt wird und bei der man jeden Morgen in der Zeitung nachschauen muß, wer erneut dazu etwas Wegweisendes gesagt hat. Sehen Sie es mir deshalb bitte nach, wenn ich schlicht meine Meinung sage; als Thüringer Ministerpräsident mit gewissen bildungspolitischen – nicht zuletzt hochschulpolitischen – Erfahrungen aus früheren Jahren und Mitverantwortlicher dafür, daß Sie heute zahlenmäßig etwas mehr sind, als Sie waren, als ich damals, 1967, zum ersten Mal für diesen Bereich verantwortlicher Minister wurde.
Ich lasse eine allgemeine Ortsbestimmung der Gegenwart beiseite und sage mit Professor Frühwald und anderen: Um den weltweiten Wettbewerb der Ideen und Innovationen zu bestehen, braucht die Bundesrepublik erstklassige Universitäten. Und das heißt unter anderem: erstklassige Wissenschaftler und einen erstklassigen wissenschaftlichen Nachwuchs. Gerade weil wir über Jahrzehnte mit dem Wort "Elite" sehr ängstlich umgingen und für manche Leistung und Wettbewerb verpönte Begriffe waren, ist es wichtig zu sagen: Wir brauchen Eliten. Wir brauchen Elite-Universitäten, wir brauchen Elite-Hochschulen.
Wir freuen uns ganz selbstverständlich über Leistungen im Sport, und wir freuen uns über jeden Nobelpreis. Wir sollten uns auch über jede und jeden an unseren Hochschulen freuen, die viel forschen, gut lehren, gut studieren und über alle, die über das gewöhnliche Maß hinaus etwas leisten. Deutschland muß in Forschung und Entwicklung und in der Ausbildung Herausragendes leisten, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können.
Wir brauchen Hochschulen, die sich ihrer Verantwortung für die Qualität von Forschung und Lehre bewußt sind. Hochschulen, die unter anderem ihre Studierenden für den harten globalen Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt vorbereiten. Dabei ist die Ausbildungsfunktion der Hochschule für den Arbeitsmarkt nicht von der Bildungsfunktion der Hochschule zu trennen. Nicht allein, wer immer rascher und immer mehr Wissen schafft, sondern wer vorhandenes und neues Wissen am besten versteht, verarbeitet, strukturiert und organisiert, ist anderen überlegen. Nicht viel wissen, viel denken muß man üben – sagt Demokrit – und das hat auch 2000 Jahre später nichts von seiner Gültigkeit verloren.
Wir erwarten viel von unseren Hochschulen. Wir erwarten, daß sie den Prozeß des Wandels und Umbruchs geistig unterstützen und begleiten. Gerade von der Universität als der "Hüterin der wichtigsten Stützpfeiler der Moderne: der Rationalität, der humanen Vernunft, des vorurteilsfreien Arguments", wie George Turner schreibt, müssen hier Beiträge kommen.
Folgt man aber der aktuellen Diskussion, scheint es, als wären die deutschen Hochschulen dazu heute nicht mehr in der Lage:
So und anders heißen die Klagen. klagen, denen ich mich – zumindest so global – ausdrücklich nicht anschließe.
Dabei sind viele Argumente alles andere als neu. Ich zitiere: "Sieht man sich so um, so ist die Bilanz dürftig. Inhaltliche und strukturelle Reform, bezogen auf die Forschung, Lehre, Studium, sind (...) kaum mehr in Angriff genommen worden. Die Studien- und Prüfungsreform ist liegengeblieben. Die Frage der Zugänge, Lernzielkontrollen, Abschlüsse, akademischen Berufsbilder ist weiterhin offen. In vielen Fächern (...) ist das Leistungsziel erschreckend abgesunken. Begleitende Prüfungen in den ersten Semestern lassen sich kaum noch durchsetzen. Die Zahl der Studienabbrecher haben sich weiter vermehrt. Ähnliches gilt für die Organisation und Verwaltung. (...) Das Ergebnis ist (...) der Untergang wissenschaftlicher Solidarität in einem allgemeinen "Rette sich wer kann", die resignative Ohnmacht akademischer Dauerdiskussionen, aus der kein befreiender Entschluß herausführt."
Dieses Zitat stammt nicht von Dietrich Schwanitz, sondern es stammt aus dem Jahre 1970 und ist hier in Godesberg damals von Hans Maier vorgetragen worden.
Nun kann es in niemandes Interesse sein, unsere Bildungs-stätten schlechtzureden. Ich bin der Überzeugung, daß wir immer noch erstklassige Voraussetzungen, erstklassige Hochschullehrer und erstklassige Forscher haben und daß Deutschland auch heute noch Spitzenleistungen hervorbringt. Und auch die Absolventenzahlen zeigen die Leistungsfähigkeit unserer Hochschulen.
Wenn man die Polemik einmal beiseite läßt: Es herrscht ein seltener Konsens darüber, daß etwas geschehen müsse, wenn wir unsere Hochschulen für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vorbereiten wollen. Eine Hochschulausbildung für 35 Prozent eines Altersjahrgangs – in den jungen Ländern sind wir inzwischen bei 20 Prozent – , ein solch großer Anteil stellt andere Anforderungen als eine Hochschulbildung für 3 Prozent eines Altersjahrgang. Das waren etwa die Zahlen, als ich studierte.
Heute studieren – Sie wissen es – rund 1,9 Millionen Studenten auf weniger als einer Million Studienplätzen – Tendenz steigend. Das Strategieziel "Untertunnelung des Studentenbergs", das hinter dem 1977 gefaßten Öffnungsbeschluß stand, hat sich als unerreichbar und insofern als falsch erwiesen. Es ist mehr notwendig als ein Kurieren an den Symptomen. Wir müssen uns den quantitativen Problemen stellen, und wir müssen auf die qualitativen Herausforderungen Antwort zu geben versuchen.
Wir haben wenig Geld. Die Hochschulen haben zuwenig Geld, viel zuwenig Geld. Ich weiß das, und es ist richtig, daß Sie das bei jeder Gelegenheit immer wieder sagen. Dennoch sollten wir uns nichts vormachen. Wir können nicht damit rechnen, daß in den nächsten Jahren wesentlich mehr Geld zur Verfügung stehen wird. Die Hoffnung, viele oder gar alle Probleme durch mehr Geld zu lösen, ist trügerisch. Aber die Diskussion um die fehlenden oder um die zu geringen Finanzmittel darf die notwendigen Reformen unserer Hochschulen nicht aufhalten. Lange Studienzeiten, hohe Abbrecherquoten und mangelnde Vermittelbarkeit der Absolventen – der Grund dafür ist nicht allein die mangelnde finanzielle Ausstattung der Hochschulen. Auch Organisationsstrukturen sowie Umfang und Inhalt der Lehre sind Ursachen der gegenwärtigen Probleme.
Wenn wir die Qualität, die Leistungskraft der Hochschulen verbessern wollen, dann führt der Weg – so glaube ich – zum einen über eine stärkere Differenzierung und eine klarere Aufgabenverteilung zum Beispiel zwischen Universitäten und Fachhochschulen, zum anderen über eine stärkere Profilierung der einzelnen Hochschulen im Wettbewerb. Mit Ihren Worten, Herr Präsident: "Wenn eine Fakultät das Studium so organisiert, daß das Diplom nach zehn Semestern abgelegt werden kann, sollte eine Nachbarhochschule nicht gehindert sein, unter Beachtung der einschlägigen Qualitätsstandards das Studium in acht Semestern zu organisieren."
Es geht darum, alle Elemente der Freiheit, des Wettbewerbs und der Grenzüberschreitung zu fördern. In einem solchen Wettbewerb wird sich die Hochschule bewähren, die eigene Schwerpunkte setzt und Stärken entwickelt, die Anreize für besondere Leistungen schafft, deren Absolventen und Wissenschafter in ihrem persönlichen Fortkommen vom Renommee ihrer Hochschule profitieren.
Gerade hier – bei der Differenzierung und der Profilierung der Hochschulen – liegen meines Erachtens die Chancen im deutschen Föderalismus. Individuelle Reformansätze auf Länderebene und in den einzelnen Hochschulen sind in jedem Fall erfolgversprechender als der Versuch einer flächendeckenden Systemkorrektur, und sie werden dem differenzierten Hochschulwesen weit mehr gerecht als bundesrechtlich vorgegebene Einheitsmodelle.
Die Hochschulen stehen unter erhöhtem Wettbewerb und unter Erfolgsdruck. Sie müssen in Zeiten knapper Mittel ihre Leistungen in Forschung und Lehre nachweisen und die Zuteilung von Ressourcen rechtfertigen. Der Wettbewerb um Drittmittel verstärkt sich. Die Hochschulen werden ihr Profil nur schärfen und ihre Leistungsfähigkeit steigern können, wenn sie mehr Eigenverantwortung und Selbständigkeit erhalten, wenn wir sie dem Dickicht unnötiger staatlicher Reglementierung entziehen.
Wenn heute Deregulierung das meist gebrauchte Wort ist, wenn über den Abbau von Verwaltung diskutiert wird, dann sollten wir nachdenken
Heute spricht nahezu jeder davon: Wir brauchen starke, führungsfähige Universitätsspitzen und Fakultätsspitzen, respektive Fachbereichsleitungen. Ich darf daran erinnern, vor 20 Jahren hat alles davon geredet, daß wir Gruppenuniversitäten bräuchten mit kollegialen Universitätsspitzen. Die Zeit hat eine Wandlung im Denken der Verantwortlichen herbeigeführt. Würde ich heute ein Plädoyer mancher von damals wiederholen: Sie kämen in ihrer Mehrheit nicht zum abendlichen Empfang. Die Gruppenuniversität in ihrer damaligen Art ist tot. Ich sage das ohne Häme und ohne Nachkarten. Das Wichtigste ist, daß wir Korrekturen da vornehmen, wo sie notwendig sind.
Das Verhältnis zwischen Staat und Hochschule muß mit dem Ziel größerer Hochschulautonomie neu geregelt werden, und dazu ist es notwendig, das Hochschulrahmengesetz nicht nur zu novellieren, sondern es neu zu fassen. Wir müssen es auf wenige allgemeine Grundsätze beschränken, die beispielsweise die Kompatibilität der Hochschulabschlüsse garantieren und Hochschulwechsel ermöglichen. Auch einige der weithin zu Recht geforderten Reformen setzen eine Änderung des Hochschulrahmengesetzes voraus. So die Einführung neuer akademischer Grade, aber auch Maßnahmen, die das Dienstrecht betreffen, wie die leistungsbezogene Besoldung von Professoren, Teilzeitprofessuren und dergleichen.
Die Länder dürfen die durch die Novellierung des Hochschulrahmengesetzes entstehenden Freiräume ihrerseits nicht ausfüllen, sondern sie müssen bereit sein, Kompetenzen abzugeben und den Hochschulen größere Gestaltungsfreiräume zu schaffen. Ganz allgemein gesprochen: Noch dringlicher als die Novelle des Hochschulrahmengesetzes ist die Novellierung der Mehrzahl der Landeshochschulgesetze.
Der Globalhaushalt ist ein wesentliches Ziel der Strukturreform. Für diesen Begriff besteht noch Definitionsbedarf. Es müssen verbindliche Evaluationsparameter für die Mittelvergabe entwickelt werden, die Strukturen der Hochschulleitung und der hochschulinternen Entscheidungswege müssen auf die neuen Aufgaben und Kompetenzen vorbereitet werden.
Wir haben beispielsweise in Thüringen mit dem Haushaltsjahr 1997 mit einem entsprechenden Modellversuch zur Budgetierung an der Bauhaus Universität in Weimar und an der Fachhochschule in Schmalkalden begonnen. Zunächst geht es darum, das Jährlichkeitsprinzip zu durchbrechen. Neben einer Übertragbarkeit von Mitteln von einem Haushaltsjahr in das nächste wird auch eine größere Deckungsfähigkeit der einzelnen Titel erprobt, mit dem Ziel, Mittel flexibler und effizienter einsetzen zu können und längerfristige Planungszeiträume zu ermöglichen.
Über eine Flexibilisierung der Haushalte bis hin zum Globalhaushalt muß sich staatliche Hochschulfinanzierung in Zukunft zumindest partiell an Leistungskriterien orientieren, beispielsweise an der Zahl der Absolventen, der eingeworbenen Drittmittel, der Promotionen und Habilitationen.
Die Vergleichbarkeit der Leistungen der Hochschulen in Forschung und Lehre ist ein Wettbewerbselement. Insbesondere für den Lehrbereich müssen hier Verfahren für externe und interne Evaluation entwickelt werden. Die Selbsteinschätzung der Fakultäten, Gutachten unabhängiger Gremien, Studenten-und Absolventenbefragungen können nicht nur Argumente für die Vergabe von Mitteln liefern, sondern auch für andere Bereiche. Eine konstruktive Evaluation soll sich auch positiv auf die Qualität von Forschung und Lehre auswirken.
Eine leistungsbezogene Mittelvergabe – ob nun vom Staat an die Hochschulen oder hochschulintern – darf aber nicht zu einer Verflachung des Angebots führen, in dem sogenannte Orchideenfächer und Spezialbereiche keinen Platz mehr haben. Da muß Vorsorge getroffen werden. Ebensowenig darf der Sparzwang dazu führen, daß Strukturveränderungen beispielsweise davon abhängig gemacht werden, welche Professoren gerade die Altersgrenze erreichen. Gleichwohl: in den nächsten zehn Jahren wird ein Generationenwechsel bei den heute tätigen Hochschullehrern – jedenfalls in den alten Ländern – stattfinden, und das ist eine Chance für strukturelle Reformen, für stärkere Profilbildung und für die Herausbildung von neuen Schwerpunkten.
Neben der Flexibilisierung der Haushalte brauchen wir größere Gestaltungsspielräume im personellen Bereich. Wenn wir über eine Dienstrechtsreform reden, dann geht es nicht darum, auf Lebenszeit verbeamtete Professoren abzuschaffen. Das möchte ich jedenfalls ausdrücklich nicht. Aber es sollte möglich sein, daneben mehr Professoren in Teilzeit zu beschäftigen, wobei Teilzeit nicht Teil einer Wochen- oder Jahresarbeitszeit, sondern auch Teil einer Lebensarbeitszeit sein kann, um damit – nebenbei bemerkt – auch mehr berufliche Praxis in die Hochschule zu bringen oder auch kurzfristig notwendige oder begrenzt notwendige Erweiterungen der Lehrkapazität zu ermöglichen. Ich halte es für wichtig, leistungsbezogene Bestandteile in das Besoldungsrecht aufzunehmen und Anreize zu schaffen, über das Pflichtmaß hinaus Leistungen in Lehre und Forschung zu erbringen.
Neben diesen strukturellen Veränderungen müssen wir die Studien- und Prüfungsreform weiterführen. Der weitaus größte Teil der Studierenden strebt keine wissenschaftliche Laufbahn an, sondern einen berufsqualifizierenden Abschluß. Es geht mir nicht, zumindest nicht in erster Linie, um eine Drosselung des Zustroms zu den Hochschulen, sondern vielmehr um eine sinnvolle Verteilung auf berufs- und studienbezogene Abschlüsse in den verschiedenen Ebenen des Bildungssystems. Es muß uns zu denken geben, daß nach einer Untersuchung des Instituts für Arbeits- und Berufsforschung heute jeder fünfte Hochsohulabsolvent unter seinem Qualifikationsniveau arbeitet. Und es kann, glaube ich, auf Dauer nicht angehen und auch nicht gutgehen, daß der Staat für die Hochschulausbildung eines Akademiker achtmal soviel öffentliche Mittel ausgibt wie für die Erstausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf. Berufliche Bildung muß attraktiver werden. Wir müssen die Chancen beruflicher Bildung auch angesichts partiell hoher Akademikerarbeitslosigkeit verbessern. Gegenwärtig arbeiten ca. 40 Prozent aller berufstätigen Hochschulabsolventen in Deutschland im öffentlichen Dienst. Das wird mit Sicherheit nicht so bleiben, es sei denn, alle Reden über den Schlankeren Staat seien nicht erst gemeint. Schlanker Staat heißt irgendwann auch Abbau von Verwaltung und heißt irgendwann weniger Arbeitsplätze in der Verwaltung.
Ein Wort zum Thema Studiengebühren: Wir haben nicht die Absicht, in Thüringen Studiengebühren einzuführen. Es gehört zu den sozialen Errungenschaften der Bundesrepublik Deutschland, daß qualifizierte junge Menschen ohne Rücksicht auf Einkommen der Eltern die Chancen haben sollen, ein Studium zu absolvieren. Niemand – so haben wir jahrzehntelang gesagt – soll aus finanziellen Gründen vom Studium abgehalten werden. Ich bin also nicht dafür, Studiengebühren einzuführen. Ich bin allerdings sehr wohl dafür, daß die, die eine normale Studienzeit einschließlich einiger Prüfungssemester an der Universität verbracht haben und dann immer noch an der Hochschule bleiben, angemessen an den Kosten beteiligt werden und auf die für Studenten üblichen Vergünstigungen verzichten.
Wenn wir kürzere Studienzeiten und eine geringere Zahl von Studienabbrechern wollen, müssen wir die Studenten in den ersten Jahren des Studiums intensiver als bisher begleiten. Wir müssen sie dabei unterstützen, frühzeitig ihre Eignung oder ihre Nichteignung für den gewählten Studiengang zu erkennen. Aus meiner Sicht sollte man den Hochschulen ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Abiturienten, die sie als Studenten aufnehmen, einräumen. Zwischenprüfungen bis hin zu einem berufsqualifizierenden Abschluß nach dreijährigem Studium, Credit-Point-Systeme, regelmäßige Leistungsnachweise und Freischußregelungen, das alles können Beiträge zu kürzeren Studienzeiten sein.
Zugleich bedeuten kürzere Studienzeit und klar geregelte Studiengänge mehr internationale Wettbewerbsfähigkeit. Eine Frage, die – wie ich weiß – der HRK besonders wichtig ist, und mit der sich die Regierungschefs der Länder bei der letzten Zusammenkunft im Dezember eingehend beschäftigt haben.
Hier besteht im wesentlichen Konsens über notwendige Reformen, die auch bei der mangelnden Kompatibilität deutscher Studienabschlüsse mit dem angelsächsischen System ansetzen. Gleichzeitig müssen die Serviceangebote für ausländische Studenten verbessert werden. Sprachbarrieren müssen überwunden werden, und schließlich müssen auch die Aufnahmebedingungen für ausländische Studierenden flexibilisiert und vereinfacht werden.
Eine Entwicklung, die keine Einbahnstraße sein oder bleiben darf. Denn umgekehrt absolvieren auch viel zu wenig Deutsche einen Teil ihres Studiums im Ausland. Verpaßte Chancen für die Studierenden ebenso wie für die Gesellschaft. Auslandserfahrene Absolventen mit Sprachkompetenz und Kenntnissen der Auslandssituation brauchen wir dringend.
Bei allem Positiven, was gegenwärtig wieder einmal über amerikanische Hochschulen in Deutschland gesagt wird: Eine "Amerikanisierung" des deutschen Hochschulsystems sollten wir nicht anstreben. Das amerikanische Universitätssystem hat Stärken, große Stärken, aber ich bin davon überzeugt, es hat auch Schwächen.
Nun ist es für einen Thüringer Ministerpräsidenten nicht erlaubt, länger als 30 Minuten zu reden und Goethe noch nicht zitiert zu haben. (Auf Zuruf: "Schiller!") – Ja, auch Schiller, aber das Glück will es ja, daß Goethe immer etwas Passendes gesagt hat: "Könnte man nur den Deutschen, nach dem Vorbilde der Engländer, weniger Philosophie und mehr Tatkraft, weniger Theorie und mehr Praxis beibringen..." – hat er im März 1828 zu Eckermann gesagt.
Weil das Stichwort Goethe und weil das Stichwort Thüringen gefallen ist, erlauben Sie mir noch ein paar Bemerkungen zur Situation an den Hochschulen in den jungen Ländern.
Von Peer Pasternak stammt die scherzhaft-sarkastische Bemerkung: "1990 gab es in Ostdeutschland eine Wissenschaftskrise und in Westdeutschland eine Wissenschaftskrise. Beide sind unterdessen erfolgreich zusammengeführt worden." Glücklicherweise ist die Lage der Hochschulen in den jungen Ländern besser als er, Pasternak, und etliche andere meinen. Auch hier sind bei Umbau und notwendigen Veränderungen ganz erstaunliche Leistungen vollbracht worden: In Ostdeutschland und mit viel westdeutscher Hilfe. Es ist für manche zwar ungewöhnlich, einmal nicht nur zu klagen, sondern sich für diese Hilfe bei den Westdeutschen ausdrücklich zu bedanken. Gleichzeitig will ich aber hinzufügen: Auf Dauer wird man auch in Westdeutschland das Hinzutreten der ostdeutschen Wissenschaftslandschaft nicht zu beklagen haben.
Über vier Jahrzehnte waren die Hochschulen in der DDR von Ideologisierung und Parteilichkeit der Wissenschaft, von Vereinnahmung der Wissenschaft durch die Politik, von der Verlagerung der Forschung aus Universitäten heraus und von der Schwächung der universitären Grundlagenforschung geprägt. Daß heute auch im östlichen Teil Deutschlands die Freiheit von Forschung und Lehre, die Autonomie der Hochschule wiederhergestellt ist, das zählt zu dem eigentlichen Gewinn der Wende.
Die Hochschulausbildung in den jungen Ländern war durch den geschlossenen Hochschulzugang 1989 auf einem Stand, den die westlichen europäischen Ländern etwa zu Beginn der siebziger Jahre hatten: Im Westen gab es 1989, auf die Gesamtbevölkerung bezogen, einen doppelt so hohen Studentenanteil wie in der DDR. Heute hat sich der Abstand auf das etwa 1 ,4fache verringert. Dies sollten auch die zur Kenntnis nehmen, die jammern, man hätte nach der Wende die Hochschulen nur plattgemacht und abgewickelt. Viele auch schmerzliche – aber dringend notwendige – Entscheidungen waren zu treffen. Beispielsweise, daß wir die Medizinische Hochschule Erfurt schließen mußten: wegen Überkapazität an medizinischen Ausbildungsplätzen und weil wir mit dem Geld, das wir ansonsten für diese Akademie aufgewandt hätten, eine neue Universität gründen wollten. Wieviele Berufene und Unberufene haben sich in der schwierigen Phase der Schließung aus dem Westen in Briefen und Petitionen mit manchmal bedenkenswerten, oft aber auch sehr törichten Vorschlägen an uns gewandt. Leichter ist uns die Anfangszeit dadurch nicht geworden. Heute lese ich, daß in der ganzen Bundesrepublik die Zahl der medizinischen Studienplätze reduziert werden soll, und ich halte das aus den Gründen, die auch uns zur Schließung veranlaßt haben, für richtig.
Für die Studierenden sind die Rahmenbedingungen in den jungen Ländern vielfach günstiger als in den alten: mehr Überschaubarkeit, persönlicher Kontakt zu den Professoren, kürzere Studienzeiten, meist entspricht die Regelstudienzeit der faktischen Studiendauer. Allerdings werden sich, wenn wir nichts dagegen unternehmen, auch hier die Relationen bis zur Jahrhundertwende mit der prognostizierten Zunahme der Studienanfänger denen in den alten Ländern angleichen. Vorläufig jedoch beurteilen Studierende in den jungen Ländern ihr Studium deutlich positiver als Studierende in den alten Ländern. Ich kann übrigens die Fußnote nicht unterdrücken: In Sachsen und Thüringen kann man nach acht Jahren Abitur machen, und es ist nicht zu erkennen, daß das schlechtere Studenten sind, die nach diesem Abitur an unsere Hochschulen kommen. Ich weiß, daß ich jetzt den Widerspruch der Bayern finde, aber ich habe vorhin ja gesagt, daß ich mir vorgenommen habe, meine Meinung zu sagen.
Gegenwärtig sind die Probleme der Hochschulen in den jungen Ländern wenigstens zum Teil anders gelagert als hier. Sie bestehen zum einem in dem gewaltigen Investitionsbedarf bei teilweise katastrophalem baulichen Zustand der bestehenden Einrichtungen. Ich habe gelernt, daß die Aussage "katastrophaler baulicher Zustand" noch steigerungsfähig ist, und ich bezeichne heute manches, was ich früher in Rheinland-Pfalz als katastrophal bezeichnet habe, nicht mehr als katastrophal. Da haben sich die Gewichte "etwas" verändert.
Priorität beim weiteren Ausbau des Hochschulsystems muß den Fachhochschulen zukommen, die sich nicht nur als besonders wirkungsvoll in der berufsbefähigenden Erstausbildung erweisen, sondern auch große Bedeutung für Technologietransfer, für Wirtschaftsberatung, Weiterbildung und für angewandte Forschung und Entwicklung haben. Das Ziel ist sicher richtig, etwa 40 Prozent der Studenten auf den Fachhochschulen auszubilden.
Prekär ist die Lage der Forschung in den jungen Ländern, dies betrifft die Grundlagenforschung ebenso wie die angewandte Forschung. Besonders problematisch ist das fast vollständige Fehlen eines funktionierenden Drittmittel-Umfelds. Auf ganz Deutschland bezogen beträgt der Anteil ostdeutscher Gesamtaufwendungen für Forschung und Entwicklung in der verarbeitenden Industrie 2,7 Prozent – bei einem Bevölkerungsanteil von 20 Prozent. Es kommt darauf an, durch die Förderung von Forschungskooperationen zwischen Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Unternehmen den Forschungs- und Technologietransfer zu unterstützen. Dort, wo die lokalen Möglichkeiten dafür gegeben sind, ist es in den letzten Jahren durchaus gelungen, eine enge Verzahnung von Hochschul- und außeruniversitärer Forschung zu erreichen. In Übereinstimmungen mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrates sind in fast allen außeruniversitären Forschungseinrichtungen Thüringens die Direktoren und Abteilungsleiter gleichzeitig berufene Hochschullehrer an einer Thüringer Hochschule.
Trotz dieser unterschiedlichen Schwerpunkte in alten und jungen Ländern – auch wir werden mit den Problemen der Hochschule in der alten Bundesrepublik zunehmend konfrontiert. Es geht uns dabei nicht allein um quantitatives Wachstum. Wir wollen auch mitwirken an der geistigen Erneuerung, denn schließlich war in Artikel 38 des Einigungsvertrages nicht von Zusammenfügung, sondern von "Einpassung" von Wissenschaft und Forschung des damals als Beitrittsgebiet bezeichneten Teils Deutschland in die Forschungsstruktur der alten Bundesrepublik die Rede. Dies heißt für uns eben nicht nur Anpassung, sondern Auftrag, auch neue Strukturen zu entwickeln und neue Ziele zu setzen.
Jürgen Mittelstrass darf mit seiner Befürchtung nicht Recht behalten. Ich zitieren ihn: "Am Ende werden wir im Osten nur den Westen wiederfinden – mit seiner Stärke, sprich Wissenschaftsfreiheit, und mit seiner Schwäche, sprich Reformunfähigkeit". Wir möchten Mittelstrass widerlegen und uns mit eigenen Ideen und eigenen Anstrengungen einbringen. Mit einer Experimentierklausel im Thüringer Hochschulgesetz sind bereits heute neue Wege für eine Studien- und Strukturreform frei. Etwa für die neugegründete oder wiedergegründete Universität Erfurt, die einen geisteswissenschaftlichen Schwerpunkt haben wird. Mit deutlichem Forschungsprofil, mit fakultätsübergreifenden Forschungsprojekten, mit einem Graduiertenstudium, mit dem Max-Weber-Kolleg verständlich in der Stadt, in der Max Weber geboren ist – soll von Beginn an auf langfristige und fächerübergreifende Forschung gesetzt werden. Erfurt soll eine Universität werden, die Berufsfähigkeit, nicht nur Berufsfertigkeit, in jedem Fall aber Wissenschaftsfähigkeit vermittelt. Wir wollen nicht andere Universitäten kopieren, sondern einiges neu überlegen. Wir wollen einen neuen Versuch ohne Vorbehalt wagen. Das ist ein Ziel nicht ganz ohne Ehrgeiz, aber man darf es sich ja wenigsten setzen.
Die Hochschulpolitik, so habe ich ganz am Anfang gesagt, ist wieder in den Mittelpunkt der Diskussion in Deutschland getreten. In vielen Punkten gibt es Konsens, zumindest über die Richtung, die eingeschlagen werden soll; nicht immer darüber, wie weit man gehen soll, aber ich habe doch den deutlichen Eindruck, auch aus der Tagesdiskussion heraus, daß die Differenzpunkte 1997 wesentlich geringer sind, als sie vor 20 oder 25 Jahren waren. Die Reformen müssen – unnötig es zu betonen – mit den Hochschulen und durch die Hochschulen, natürlich nicht gegen die Hochschulen, erfolgen. Wir wollen viel verändern und dennoch nicht vergessen, was auch in Zukunft von unseren Hochschulen erwartet wird: Daß sie Stätten sind, an denen sich Geist und Persönlichkeit formen und entwickeln, daß sie Raum bieten für Forschung und Lehre, für den Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft und auch für den Streit zwischen den Fakultäten, für die Suche nach Wissen und Erkenntnis als dem größten aller Abenteuer. Und ein Abenteuer soll die Universität, wenn alle Reformen glücken sollten, auch danach noch bleiben.
Herzlichen Dank!