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Neues aus der Zwangskörperschaft (3)

Grundrechtsverletzung durch Zwangskörperschaft


Die herrschende juristischen Lehre sieht die VS nicht nur außerstande, sich auf Grundrechte zur berufen, sondern versetzt sie zugleich in die Lage, wie eine staatliche Behörde die Grundrechte anderer zu verletzen. Eine solche Grundrechtsverletzung soll dann eintreten, wenn ein VS-Organ eine allgemein-politische Meinung äußert.

Dieses eigentümliche Vorstellung basiert auf der zusätzlichen Annahme, daß es sich bei den VS nicht nur um Körperschaften, sondern um "Zwangskörperschaften" des öffentlichen Rechts handle: Ihre Mitglieder sollen ihr nicht aufgrund eines freiwilligen Beitritts angehören, sondern sollen zwangsweise inkorporiert worden sein. Deshalb könne - anders als bei einer freien Vereinigung - ein Mitglied der Zwangskörperschaft Studentenschaft nicht aus dieser austreten, wenn er sich von einer allgemeinpolitischen Äußerung des Verbands distanzieren möchte.

Die Vorstellung von der VS als eine Zwangskörperschaft beruht auf einer »logischen Sekunde« die JuristInnen hilfsweise zwischen die freiwillige Immatrikulation einer studierwilligen Person in die Hochschule und deren Eingliederung in die VS schalten. (14) Tatsächlich aber sind beide Vorgänge sachlich und rechtlich miteinander verbunden. (15) Der Eintritt in die VS, einer mit eigenen Rechten ausgestatteten Teilkörperschaft der Hochschule, ist ebensowenig wie der Eintritt in eine bestimmte Fakultät der Hochschule vom zugrundeliegenden Akt des Hochschulzugangs zu trennen. Der "Studierendenschaft" im Sinne einer Statusgruppe der Gruppenhochschule gehört jedeR StudentIn auch in Baden-Württemberg und Bayern, wo die VS 1974 bzw. 1977 gesetzlich abgeschafft worden sind, an. Wird diese Gruppe aufgewertet Gruppe zu einer (Teil-)Körperschaft mit Selbstverwaltungsrechten, sollen aber plötzlich die Grundrechte ihrer Mitglieder gefährdet sein!

Welches Grundrecht soll nun eine VS durch eine allgemeinpolitische Meinungsäußerung eigentlich verletzen können? Seit dem erwähnten Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts wird hierfür allgemein das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) bemüht. Es hat bei den VerfassungsjuristInnen als Auffanggrundrecht für alle in den übrigen Grundgesetzartikeln nicht verbürgten Freiheitsrechte herzuhalten. In diesem Fall soll es das "Recht, von der Mitgliedschaft in einem 'unnötigen' Verband verschont zu bleiben", garantieren. (16)

Für einen verhältnismäßigen - und somit erlaubten - Grundrechtseingriff hält das Bundesverwaltungsgericht, daß der Gesetzgeber überhaupt VS mit der Pflichtmitgliedschaft aller eingeschriebenen Studierenden einrichtet - unter JuristInnen keineswegs selbstverständlich (17). Als verhältnismäßig gilt ferner, daß die VS Aufgaben im Bereich der studentischen Belange wahrnehmen und die hochschulpolitischen Interessen ihrer Mitglieder vertreten - also ein hochschulpolitisches Mandat der VS. Denn es liege im "öffentlichen Interesse", sei daher notwenig, daß Hochschule und Staat über einen "Ansprechpartner" vefügen können, "der das Gesamtinteresse der Studentenschaft repräsentiert." (18) Ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte ihrer Mitglieder soll allerdings bei einem allgemeinpolitischen Mandat der VS vorliegen, also wenn die VS "zu beliebigen Fragen der Politik Stellung" nehmen könnten. (19)

In dieser Unterscheidung liegt m.E. die größte Schwäche der herrschenden Lehre. Es geht dabei freilich nicht allein um das Problem, "daß es in der Praxis auch hin und wieder Schwierigkeiten machen kann, erlaubtes und verbotenes Verhalten zu unterscheiden", was die Justiz selbst eingesteht. (20) Die Unterscheidung hochschulpolitisch- allgemeinpolitisch als Kriterium für die Legalität politischer Meinungsäußerungen von VS ist vielmehr im Ansatz verfehlt. Warum wird dissentierenden Studierenden gegenüber allgemeinpolitischen Meinungsäußerungen der VS "Schutz" gewährt, gegenüber hochschulpolitischen aber nicht?

Die Notwendigkeit des hochschulpolitischen Mandats könnte nämlich genau so gut angezweifelt werden wie die des allgemeinpolitischen Mandats: Auch in den Bundesländern ohne VS finden die Studierenden Mittel und Wege, um ihre hochschulpolitischen Forderungen zu formulieren; umgekehrt verhalten sich zahlreiche VS abstinent gegenüber den aktuellen Diskussionen um eine Umstrukturierung des Hochschulwesens.

Auch das Argument, ein Pflichtverband mit allgemeinpolitischem Mandat wäre ein ständestaatliches Element in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung, (21) läßt sich leicht entkräften. Fügen sich Pflichtverbände mit einem inhaltlich begrenzten, nur "ständische Forderungen umfassenden, (hochschul-)politischen Mandat nicht viel mehr in die autoritäre Struktur einer ständestaatlichen oder korporativistischen Gesellschaftsordnung ein?

Das Verbot allgemeinpolitischer Meinungsäußerungen läuft im Ergebnis darauf hinaus, daß nur ein bestimmtes inhaltliches Spektrum an Hochschulpolitik erlaubt ist: Eine Hochschulpolitik z.B., die einen Zusammenhang zwischen BAFöG-Kürzungen und der Benachteiligung von Frauen an der Hochschule einerseits und gesamtgesellschaftlichen Sozialabbau und Sexismus oder - auf einer allgemeineren Ebene - den Folgen einer kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaft andererseits erkennt, wäre verboten. Eine Hochschulpolitik aber, die diese Zusammhänge leugnet, ist erlaubt. So verfügt der christdemokratische Studierendenverband RCDS sehr wohl über eine ausgearbeitete gesellschaftliche Programmatik; hieraus leitet sich aber gerade ab: "Partizipation ist nur im Rahmen der Funktionalität des jeweiligen Teilbereiches möglich." (22)


Anmerkungen

14) Zechlin, a.a.O., S. 287.

15) Vgl. Preuß, a.a.O., S 77 ff.

16) BVerwGE, Bd. 59, S. 233.

17) Vgl. Krüger, a.a.O., S. 643 f.

18) BVerwGE, Bd.59, S. 237.

19) BVerwGE, Bd.59, S. 238.

20) BVerwGE, Bd.59, S. 240 f.

21) Bereits 1968 erklärte die KultusministerInnenkonferenz: "Ein allgemein- politisches Mandat der Studentenschaften als eines körperschaftlich organisierten Verbandes im öffentlich- rechtlichen Bereich verstößt gegen das Prinzip der Repräsentation des ganzen Volkes durch die Parlamente. Eine ständische Komponente würde unzulässig in unsere demokratische Grundordnung eingeführt." Zit. nach Krüger, a.a.O., S. 656, Fn. 130.

22) Grundsatzprogramm des RCDS vom 06.03.1976, These Nr. 36.


4. Wie bescheiden muß ein Reformansatz sein?
1. Das Politische Mandat in den 70er und 80er Jahren
2. Disziplinierung von Sozialbereichen
Übersicht

bay, 21.2.1998, URL www.michael-bayer.de