Die Zugehörigkeit der VS zur Staatsverwaltung leitet die herrschende Lehre aus deren Charakter als öffentlich-rechtliche Körperschaften ab. Entgegen der im 19. Jahrhundert wichtigen Selbstverwaltungsfunktion der Körperschaft, hob Ernst Forsthoff, einflußreicher deutscher Verwaltungsrechtler der Bundesrepublik sowie schon zuvor der faschistischen NS-Diktatur, als neue Funktion der öffentlich-rechtlichen Körperschaft die "Disziplinierung von Sozialbereichen" hervor (6): So sollte der Staat etwa den Bereich der Wirtschaft durch das berufsständische Kammerwesen disziplinieren. Dieser Disziplinierungsfunktion hat sich der faschistische Korporativismus in besonders exzessiver Weise bedient. Nach den gescheiterten Ansätzen in der Weimarer Republik, war es in Deutschland der faschistische Staat, der 1933 die VS erstmals auf einer einheitlichen gesetzlichen Grundlage einführte - als in die staatliche Befehlshierarchie eingebundene öffentlich-rechtliche Körperschaften. (7)
Auf der Funktionalisierung der Körperschaften für den Staat baute die Verwaltungsrechtslehre der BRD auf und entwickelte sie zum Instrument der "mittelbaren Staatsverwaltung" weiter, einer bestimmten Verwaltungsorganisation, derer sich der Staat um praktischer Vorteile willen bedient: etwa den der Dezentralisierung. (8) Über Selbstverwaltungsrechte verfügt die öffentlich-rechtliche Körperschaft demnach nicht um der Partizipationsrechte ihrer Mitglieder willen, sondern um eine effizientere Staatsverwaltung zu ermöglichen.
Diese überkommene Lehre, deren Wurzeln vor unser geltendes Verfassungsrecht zurückreichen, wurde im Streit um die Rechtmäßigkeit des politischen Mandats früh kritisiert. (9) Dem "etatistischen" Verständnis von den VS als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung setzten kritische JuristInnen eine "kollektivgrundrechtliche Betrachtungsweise" entgegen. (10) Nach Art. 19 Abs. 3 GG gelten Grundrechte "auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind." Wie auch die herrschende Lehre konzediert, können hierzu juristische Personen des öffentlichen Rechts wie Anstalten (Rundfunkanstalten) oder Körperschaften (Universitäten) gehören. Ulrich K. Preuß rechnet hierzu konsequent die VS: Sie könnten sich unmittelbar auf die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) und mittelbar auf die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen, da sie - als kollektive Grundrechtsträgerinnen - für die "Institutionalisierung der individuellen Lernfreiheit" der Studierenden sorgen. (11) Mittels einer stark auf die HochschullehrerInnen zugeschnittenen Auslegung der Wissenschaftsfreiheit (12) lehnt dagegen die herrschende Lehre die Anwendbarkeit dieses Grundrechts auf die VS ab.
Schon der Begriff "politisches Mandat" selbst legt eine "etatistische" Sicht der Dinge nahe: "Mandat" wirft nicht die Frage nach einem (Grund-)Recht der VS zu politischen Stellungnahmen auf, sondern nach einem Auftrag (Mandat) an die VS. Es wird nicht gefragt, ob der VS ausnahmsweise dieses Recht nicht zusteht, sondern, ob der VS (13) ausnahmsweise ein entsprechender Auftrag - etwa per Gesetz - erteilt wird.
5) Etwa H. Krüger: Studentische
Selbstverwaltung, in: Ch. Flämig u.a. (Hrsg.):
Handbuch des Wissenschaftsrechts, Bd. 1, Berlin/Heidelberg/New York
1982, S. 636 ff.; W. Thieme: Deutsches
Hochschulrecht, 2. Aufl. Köln u.a. 1986, S. 699
ff.; H. Maurer: Allgemeines Verwaltungsrecht, 6.
Aufl. München 1988, S. 491 ff.; B. Pieroth/B.
Schlink: Grundrechte Staatsrecht II, 8. Aufl.
Heidelberg 1992, S. 45 ff.
6) E. Forsthoff: Lehrbuch des
Verwaltungsrechts, 10. Aufl. München 1973, S. 476.
7) Vgl. H. Bartsch: Die
Studentenschaften in der Bundesrepublik Deutschland, 2.
Aufl. Bonn 1971, S. 19 ff.
8) Vgl. etwa H. J. Wolff/O. Bachof/R.
Stober: Verwaltungsrecht II, 5. Aufl. München
1987, S. 2 ff.
9) U.K. Preuß: Das politische
Mandat der Studentenschaft, Frankfurt a.M. 1969; H.
Ridder/K.-H.
Ladeur: Das sogenannte Politische Mandat von
Universität und Studentenschaft, Köln 1973;
F. Hase/K.-H. Ladeur: Das "Politische Mandat" der VS, in:
Das Argument 109 (1978), S. 373 ff.; L.
Zechlin: Die Rechtsprechung zum politischen Mandat der
verfaßten Studentenschaft, in:
Demokratie und Recht 1978, S. 281 ff.
10) Begrifflichkeit nach E. Denninger:
Das politische Mandat der Studentenschaft, in:
Kritische Justiz 1994, S. 1 ff.
11) Preuß, a.a.O., S. 54 ff.
(58), 95 ff.
12) Diese manfifestiert sich im
"Hochschulurteil" des Bundesverfassungsgerichts von
1973, in:
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE),
Bd. 35, S. 79 ff.
13) Vgl. Preuß, a.a.O., S. 14 f;
Ridder/Ladeur a.a.O., S. 8 f. Dennoch verzichte ich, um
die Kommunikation nicht weiter zu erschweren, sowohl auf
die Erfindung eines Alternativbegriffs als
auch auf die Verwendung von Verlegenheits-Gänsefüßchen.
3. Grundrechtsverletzung durch Zwangskörperschaft
4. Wie bescheiden muß ein Reformansatz sein?
1. Das Politische Mandat in den 70er und 80er Jahren
Übersicht
bay, 21.2.1998, URL
www.michael-bayer.de