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Zwei Rechtsgutachten von Erhard Denninger

Der Frankfurter Jura-Professor über die Rechtmäßigkeit eines 'Politischen Mandats' bzw. politischer Äußerungen von StudentInnenschaften

Das 93er-Gutachten ist online abrufbar.
Von Marcus Gottsleben, AStA TH Darmstadt

Im ersten Gutachten, das Denninger schon Ende 1993 im Auftrag des hessischen Wissenschaftsministeriums erstellt hat, verortet er die StudentInnenschaft zunächst -- im Rahmen eines längeren recht(s)theoretischen Abschnitts -- irgendwo im Spannungsfeld zwischen mittelbarer Statsverwaltung (Befugnisse von oben verliehen) und kollektiver Grundrechtswahrnehmung (Befugnisse von unten delegiert) und verneint, daß Äußerungen der StudentInnenschaft bzw. des AStA einzelnen Studierenden (die anderer Meinung sind) gegen deren Willen angelastet werden könnten.

Was das politische Mandat selbst angeht, so argumentiert Denninger einerseits, daß eine Pflichtkörperschaft, die an einen besonderen Status (StudentIn der Hochschule x) anknüpft, zu ihren Mitgliedern nicht im ,,Verhältnis der allgemeinen politischen Repräsentation'' stehen dürfe (dies wäre ein ,,Rückfall in voraufklärerische ständestaatliche Vorstellungen''), andererseits sieht er es jedoch als legitim an, wenn die StudentInnenschaft die ,,Belange der Studenten in Hochschule und Gesellschaft'' wahrnimmt. Hierzu zählt er insbesondere drei Themenkomplexe:

  1. ,,Wissenschaft und Hochschule'': Gremienparitäten, Hochschulentwicklungsplaung, aber auch Forschungspolitik, Folgen und Gefahren von Wissenschaft und Technik
  2. ,,Ausbildung, soziale Sicherung und Berufschancen'': auch Themen wie Wohnungsbau, Nahverkehr, Gleichberechtigung
  3. ,,`allgemeine' Voraussetzungen für freie Wissenschaft und Ausbildung'': Grundlagen der freiheitlichen Verfassung, Wahrung der Menschenrechte (im Inland und Ausland!)

In einem weiteren Abschnitt befaßt sich Denninger mit ,,Möglichkeiten der Erweiterung studentischer Mitwirkung in der Hochschulselbstverwaltung'' im Rahmen von HRG und Verfassungsgerichtsurteil, kommt dabei allerdings kaum zu aufsehenerregenden Ergebnissen. (Da ist das neueste Gutachten aus Berlin schon spannender, in dem die Möglichkeit aufgezeigt wird, die Profes- sorInnenmehrheit in den Gremien zwar beizubehalten, die ProfessorInnen aber von den Mitgliedern aller Statusgruppen wählen zu lassen.)

Das zweite Gutachten hat Denninger im April diesen Jahres dem nordrhein- westfälischen Wissenschaftsministerium vorgelegt; es trägt den vollständigen Titel: ,,I. Zur Bindung der Aufgaben der Hochschulen an humanitäre, ökologische und soziale Grundsätze. II. Zum hochschulpolitischen Mandat der verfaßten Studentenschaft.''

In diesem Gutachten wiederholt Denninger nicht nur seine Aufassungen zum politischen Mandat (wobei er noch einmal ausführlich darlegt, daß Äußerungen der StudentInnenschaft nicht den einzelnen StudentInnen zuzurechnen seien, so daß es selbst dann keine subjektivrechtliche Klagemöglichkeit für einzelne Studierende gebe, wenn der AStA objektiv seine Kompetenzen überschreite -- Münster läßt grüßen), sondern er begründet die Legitimität eines weitgefaßten Mandats der Studierendenschaft noch einmal zusätzlich, indem er eine Brücke zwischen deren Aufgaben und denen der Hochschule schlägt.

Die Argumentation ist in etwa folgende: StudentInnen sind Mitglieder der Hochschule, und die StudentInnenschaft ist eine Teilkörperschaft derselben; daher kann der Gesetzgeber deren Aufgaben eng miteinander verbinden (wie z.B. in Niedersachsen, wo es heißt, die StudentInnenschaft habe ,,die Verwirklichung und Weiterentwicklung der Ziele und Aufgaben der Hochschule zu fördern''). Was nun die Aufgaben der Hochschulen, insbesondere deren Bindung an ,,humanitäre, ökologische und soziale Grundsätze'', angehe, so dürfe zwar die grundgesetzlich garantierte Wissenschaftsfreiheit nicht per Gesetz eingeschränkt werden, sie finde aber ihre (verfassungsimmanente) Grenze dort, wo sie mit anderen Grundrechten oder Verfassungsgütern kollidiere; diese Grenzen dürfe der Gesetzgeber ,,einfachgesetzlich sichtbar machen''. Der Staat dürfe so nicht nur Forschungen untersagen, die mit ,,der Achtung der Menschenwürde und der Wahrung der natürlichen Lebensgrundlagen'' unvereinbar seien, sondern auch die HochschulwissenschaftlerInnen in ihrer Arbeit an darüber hinausgehebnde humanitäre, ökologische und soziale Grundsätze ,,binden'' -- dies allerdings nicht via Ge- oder Verbot, sondern mittels Anregungen, (finanzieller) Förderung und ständiger Erinnerung.

Die Berücksichtigung solcher Grundsätze gehöre zur ,,permanent von der Hochschule zu leistenden Selbstreflexion, also ihrer eigenen wissenschaftspolitischen und gesellschaftspolitischen Standortbestimmung'' und sei Aufgabe aller Hochschulmitglieder -- insbesondere auch der Studierenden, denen ja die Hochschulen in Zukunft einmal anvertraut würden. Der Staat sei ,,wohl beraten, wenn er institutionell-normative Vorsorge trifft, daß Bewußtseinsbildungsprozesse hierüber unter den Studierenden beizeiten und nach demokratischen Spielregeln in Gang kommen können''. Dies greift Denninger im weiteren Verlauf des Textes auf und argumentiert, ,,daß zum Auftrag der Hochschulen, die Wissenschaften zu pflegen, auch die Reflexion auf das Verhältnis von `reiner' Erkenntnisgewinnung zu einer an humanitären, ökologischen oder sozialen Grundsätzen orientierten Erkenntnissuche und -anwendung gehört. Dies bedeutet zugleich die Reflexion auf die gesellschaftliche Funktion von Wissenschaft und, dementsprechend, auch die Reflexion der Institution Hochschule auf ihre Position und ihre Aufgaben in der Gesellschaft. Die Teilnahme an diesem Reflexionsprozeß kann aus den oben [...] dargelegten Erwägungen auch als Aufgabe und Kompetenz der verfaßten Studentenschaft normiert werden.''


bay, 21.2.1998, URL www.michael-bayer.de