[ HoPo-WWW, Politisches Mandat ]

Das ,,politische Mandat'' der Studentenschaft und andere Möglichkeiten studentischer Mitwirkung in der Hochschule

Rechtsgutachten

erstattet im Auftrag des
Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst

von Dr. Erhard Denninger
Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie
an der Johann Wolfgang Goethe - Universität
zu Frankfurt am Main

Oktober 1993


Inhaltsübersicht

I. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Studentenschaft als Körperschaft mit Pflichtmitgliedschaft?
  1. Streit um die ,,verfaßte Studentenschaft''
  2. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen einer ,,Zwangskörperschaft''. Rechtfertigung einer studentischen Gesamtrepräsentation.
II. Die Pflichtkörperschaft ,,Studentenschaft'' als Trägerin hoheitlicher Befugnisse und als Grundrechtsträgerin?
  1. Grundlage der Aufgabenwahrnehmung: Amtsübertragung oder Grundrechtsausübung?
  2. Drei theoretische Grundpositionen hierzu.
III. Zum Verhältnis zwischen der Pflichtkörperschaft ,,Studentenschaft'' und ihren Mitgliedern

IV. Das ,,politische Mandat'' der Studentenschaft und seine Grenzen.

  1. Leitgesichtspunkte für eine Grenzbestimmung
  2. ,,Belange der Studenten'' - Problemfälle
V. Möglichkeiten der Erweiterung studentischer Mitwirkung in der Hochschulselbstverwaltung.
  1. Änderung der Gruppenparitäten in den Selbstverwaltungsgremien?
  2. Aktivierung der Fachschaften; Überwindung des Dualismus zwischen Fachschaftsrat und Fachbereichsrat.
VI. Ergebnisse (in Thesenform)


I. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Studentenschaft als Körperschaft mit Pflichtmitgliedschaft?

1. Streit um die ,,verfaßte Studentenschaft''

Das Hochschulrahmengesetz (HRG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. April 1987 ermächtigt die Länder, daß an den staatlichen Hochschulen zur Wahrnehmung bestimmter, in § 41 Abs.1 HRG näher definierter Aufgaben ,,Studentenschaften'' gebildet werden.

Von dieser Möglichkeit haben alle alten Bundesländer mit Ausnahme Bayerns und Baden-Württembergs1 und inzwischen auch alle neuen Bundesländer Gebrauch gemacht.2 Die eingeschriebenen Studenten einer Hochschule bilden jeweils ,,die Studentenschaft'', die in der Regel ausdrücklich als rechtsfähige Gliedkörperschaft der Hochschule (so z.B. § 77 Abs.1 HEG Mecklenburg-Vorpommern) oder als deren Teilkörperschaft (so z.B. § 81 Brandenburg.HSG) bezeichnet wird. Sie hat das Recht der Selbstverwaltung im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen sowie das Recht, zur Erfüllung ihrer Aufgaben von den Studenten Beiträge (,,Zwangsbeiträge'') zu erheben, vgl. z.B. §§ 62 Abs.3, 63 Abs.1 HessHG.

Nachdem es in den siebziger Jahren bis weit hinein in die achtziger Jahre zu einer Fülle von Rechtsstreitigkeiten um die gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Grenzen des Aufgabenbereichs der ,,verfaßten'' Studentenschaft, besonders im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme eines sogenannten ,,politischen Mandats'' durch die Studentenschaft gekommen war, schien sich die Lage mit Beginn der neunziger Jahre etwas entspannt zu haben.

Zwei Urteile des VGH Kassel aus dem Jahr 1991 zeigen jedoch, daß die ,,Ruhe'' trügerisch ist. Sie zeigen vor allem auch, daß die Begründungen, welche die Rechtsprechung für ihre Grenzziehungen gibt, verfassungsrechtlich und grundrechtsdogmatisch erhebliche Unklarheiten und Unsicherheiten aufweisen.3

Für die praktische Handhabung der gesetzlichen Aufgabenumschreibung ,,Wahrnehmung hochschulpolitischer, sozialer und kultureller Belange der Studenten'' (§ 41 Abs.1 HRG, vgl. auch § 63 Abs.2 HessHG) hat sich die Rechtsprechung seit langem auf die Faustformel verständigt: Äußerung zu ,,hochschulpolitischen'' Fragen - JA, Äußerung zu ,,allgemein-politischen'' Fragen - NEIN. Das sogenannte hochschulpolitische Mandat wird - in mehr oder weniger unsicheren Grenzen - akzeptiert, das ,,allgemein-politische Mandat'' hingegen nicht.4 Dabei ist nicht nur diese Bereichsabgrenzung problematisch, sondern es bleibt auch völlig unklar, was es bedeutet, in diesem Zusammenhang von einem ,,Mandat'' an die ,,verfaßte Studentenschaft'' zu sprechen: Soll diese ,,treuhänderisch'' bestimmte Grundrechte (und welche?) der in ihr organisierten Studenten wahrnehmen, übt sie eigene Grundrechte (und welche?) aus oder ist das ,,Mandat'' ein staatlich verliehener Auftrag, bestimmte Hoheitsfunktionen in dezentralisierter Wahrnehmung als ,,mittelbare Staatsverwaltung'' zu erledigen? Sind zwischen diesen Alternativen Ergänzungsverhältnisse oder Kombinationsformen denkbar, oder schließen mittelbar-staatliche Hoheitsverwaltung und Grundrechtsausübung einander wie Feuer und Wasser aus? Welche Rolle spielt Art. 19 Abs.3 GG in diesem Zusammenhang, wenn man von den Studentenschaften als von rechtsfähigen Körperschaften des öffentlichen Rechts auszugehen hat?

Alle diese Fragen lassen sich theoretisch sinnvoll und im Hinblick auf (gesetzgebungs-)praktische Konsequenzen erst diskutieren, wenn man die grundlegende Prämisse bejaht hat, daß es verfassungsrechtlich überhaupt zulässig ist, die Studenten5 zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben körperschaftlich (in einer ,,Zwangskörperschaft'') zu organisieren. Dies ist im Schrifttum und von einem Teil der Rechtsprechung immer wieder mit bedenkenswerten Argumenten bezweifelt worden.

In seinem Grundsatzreferat über ,,Die Stellung der Studenten in der Universität'' vor der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer kam H.H.Rupp schon 1968 zur Verneinung der Frage. ,,Vor dem Hintergrund der Koalitionsfreiheit des Art.9 GG muß es deshalb als verfassungsrechtlich bedenklicher Formenmißbrauch gelten, wenn zur Durchsetzung hoheitsfremder Aufgaben hoheitsrechtliche Organisations- und Herrschaftstypen verwendet werden und ohne innere Legitimation die nach herrschender Meinung für hoheitliche Verbandsgebilde an sich grundrechtlich zulässige Zwangsmitgliedschaft und Zwangsgewalt berufen wird.''6 Auf derselben Linie hat sich das VG Sigmaringen in einem Vorlagebeschluß vom 24.6. 1975 bewegt, indem es feststellte, es sei keine legitime öffentliche Aufgabe, zu hochschulpolitischen Angelegenheiten Stellung zu nehmen. Einzelne Studenten und deren privatrechtliche Vereinigungen könnten dies in ,,Verbindungen, Studentenzeitungen, Leserbriefen in Tageszeitungen'' genau so (gut) tun. Ähnliches gelte für die übrigen gesetzlichen Aufgaben der Studentenschaft wie die Wahrnehmung der wirtschaftlichen und sozialen Belange der Studenten, die Förderung der geistigen, musischen und sportlichen Interessen oder die Pflege der überregionalen und internationalen Studentenbeziehungen. Zur Bewältigung all dieser Aufgaben sei ein Zwangsverband nicht erforderlich, seine Errichtung infolgedessen verfassungswidrig.7 Eine ähnliche Kritik formulierte K.Redeker zu den Erwägungen, aufgrund deren das Bundesverwaltungsgericht Ende 1979 die Einrichtung studentischer ,,Zwangszusammenschlüsse'' verfassungsrechtlich zu rechtfertigen versuchte.8 Redeker hält aber schließlich bei einer strikten Beschränkung der Aufgaben auf diejenigen der Universität selbst eine rechtsfähige Teilkörperschaft ,,Studentenschaft'' mit Pflichtmitgliedern doch für zulässig, aber eben als ,,Glied der mittelbaren Staatsverwaltung'', zu der die Universität als selbständige Anstalt (!) des öffentlichen Rechts gehöre. Da die Universität nicht zur Abgabe allgemein-politischer Erklärungen befugt sei, könne folglich auch die Studentenschaft dies nicht sein.

Zu einer fragwürdigen JA-ABER-Position, die aber das zugrundeliegende Problem einer gruppenspezifischen politischen Repräsentation in einem und durch einen Pflichtverband deutlich hervortreten läßt, gelangt auch die Judikatur des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs. Schon wegen der ,,Geringfügigkeit'' der der Studentenschaft übertragenen Aufgaben stoße die Einrichtung der Zwangskorporation in § 26 HessHG (alt,1970) ,,an die Grenze der Verfassungswidrigkeit.'' Insbesondere aber die Aufgabe der ,,Förderung der politischen Bildung und des staatsbürgerlichen Verantwortungsbewußtseins der Studenten'' (vgl. § 63 Abs.2 Nr.5 HessHG) stehe ,,an der Grenze zur Verfassungswidrigkeit'', weil der demokratische Prozeß politischer Willensbildung vom ,,Volk'' zu den ,,Organen'' und nicht umgekehrt verlaufen müsse (unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG, E 20,56,99). Die deshalb gebotene enge Auslegung der Aufgabennorm decke nur die Befugnis der Studentenschaft, den Studenten ,,Gelegenheit zur Information und zur Unterrichtung in politischen Angelegenheiten zu geben'', damit die verschiedenen politischen Gruppierungen in Staat und Gesellschaft die Studenten mit ihren Vorstellungen ,,erreichen'' könnten.9 Die Studentenschaft treffe bei dieser Aufgabe der politischen und staatsbürgerlichen Bildung die Pflicht zur Wahrung der Neutralität, etwa bei der Einladung von Politikern zu Informationsveranstaltungen, ja mehr noch: die Pflicht zur ,,äußersten Zurückhaltung''. Sie dürfe ,,bei der Organisaton politischer Veranstaltungen weder mit der Auswahl noch der Formulierung der Themen noch mit der Verpflichtung der Referenten ein bestimmtes eigenes politisches Engagement verfolgen oder erkennen lassen.'' Also im Ergebnis ein Ausgewogenheitsgebot in aller Strenge, wie man es sonst nur von der Stellung der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten her kennt, kombiniert mit einem Mäßigungsgebot, das an das Beamtenrecht (§ 53 BRRG, § 68 HBG) erinnert! Wer die akademisch-studentische Lebenssituation auch nur ein kleines bißchen beobachtet, der weiß, daß dies genau das ist, was die politisch interessierten Studenten, und zwar nicht nur die ,,politisch extremen'', sondern die Studenten aller (partei-)politischen Richtungen nicht interessiert. Zur Erfüllung einer so verstandenen Bildungsaufgabe würde es in der Tat genügen, im Studenten-Clubraum ein Fernsehgerät aufzustellen und ein paar Tageszeitungen ,,ausgewogen'' auszulegen. Jedenfalls ist eine solche Gesetzesfassung und erst recht -auslegung nicht geeignet, kritische und engagierte Studenten für die studentische Selbstverwaltung zu begeistern oder bei ihnen den Sinn für demokratisch-staatsbürgerliches Engagement zu wecken oder zu stärken.

Das Bundesverwaltungsgericht - E 59,231,236 f.- hat das verfassungsrechtlich geforderte legitime öffentliche Interesse an einem Pflichtzusammenschluß aller Studenten einer Hochschule wesentlich auch deshalb bejaht, weil ,,Universitäts- und Staatsorgane in der verfaßten Studentenschaft über einen durch Gesetz und demokratische Verbandswillensbildung legitimierten Ansprechpartner verfügen, der das Gesamtinteresse der Studentenschaft repräsentiert.'' Hier sei zunächst dahingestellt, inwieweit dieses Argument, zumal in Zeiten starker Selbstverwaltungs-Apathie an den Hochschulen, nicht mehr als normativistisches ,,wishful thinking'' bedeutet; jedenfalls verliert es in der Kombination mit der Neutralitäts- und Zurückhaltungspflicht an tragender Wirklichkeit. Insoweit ist Redeker10 beizupflichten: Für die öffentliche Hand kann es wichtiger sein, mit wirklich von den Mitgliedern getragenen Interessenvertretungen zu sprechen, als sich eine Körperschaft mit Zwangsmitgliedschaft zu schaffen, deren Bestand vom Konsens der Mitglieder unabhängig ist. Etwas pointiert kann man die Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs zusammen mit der des Bundesverwaltungsgerichts auf die Formel bringen: Was die Studenten wollen, das dürfen sie (als ,,Studentenschaft'') nicht, und was sie dürfen, das wollen sie nicht.

Eine sachgerechte normative Ausgestaltung und Fortentwicklung der studentischen Selbstverwaltung und Mitbestimmung wird sich hingegen daran orientieren müssen, das staatliche Interesse an einer verbandsmäßigen Repräsentation studentischer Interessen mit der Organisation des Wissenschaftsbetriebes an den Hochschulen und mit der Darstellung eigenbestimmter Interessen der Studenten in einer optimalen Organisation zu einem vernünftigen Ausgleich zu bringen.

2. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen einer ,,Zwangskörperschaft''. Rechtfertigung einer studentischen Gesamtrepräsentation.

Um unter diesem Leitgesichtspunkt die möglichen Aufgaben einer organisierten Studentenschaft näher bestimmen zu können, ist es notwendig, sich der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen einer gesetzlich gebildeten Körperschaft mit ,,Zwangsmitgliedschaft'' (BVerfGE 38,298) zu vergewissern. Seit der Entscheidung zum ,,Großen Erftverband'' (1959) hat das Bundesverfassungsgericht, gefolgt von der Rechtsprechung im übrigen, daran festgehalten, daß die Frage nach den verfassungsrechtlichen Schranken einer Zwangsmitgliedschaft in einem öffentlichrechtlichen Verband nicht aus Art.9 GG, der nur privatrechtliche Vereinigungen betreffe, sondern aus Art.2 Abs.1 GG zu beantworten sei. Danach dürften öffentlichrechtliche Verbände nur gegründet werden, ,,um legitime öffentliche Aufgaben wahrnehmen zu lassen.''11 Der Gesetzgeber entscheide nach seinem Ermessen, welche dieser Aufgaben der Staat nicht durch seine Behörden, sondern durch eigens gegründete Körperschaften erfülle. Das Gericht habe die Zweckmäßigkeit oder Notwendigkeit der gewählten Organisationsform nicht zu überprüfen. Dieser Ansatz des BVerfG wird in seiner Bedeutung verschoben, wenn der Hessische VGH die Stelle so zitiert, daß Zwangsverbände nur zur Erfüllung solcher legitimer öffentlicher Aufgaben gegründet werden dürften, ,,die ebensogut von öffentlich-rechtlichen Anstalten und Körperschaften statt von staatlichen Behörden wahrgenommen werden können.''12 Das sinnverändernde Fehlzitat des Hessischen VGH läuft auf die völlige Austauschbarkeit der Organisationsstrukturen der mittelbaren und der unmittelbaren Staatsverwaltung hinaus. Daß es jedoch legitime öffentliche Aufgaben geben kann, die nach Einschätzung des Gesetzgebers besser durch selbständige Körperschaften als durch unmittelbar staatliche Behörden oder überhaupt nur durch solche Körperschaften (oder Anstalten) erledigt werden können, gerät hierdurch aus dem Blickfeld.

Zu diesen letzteren gehören nämlich diejenigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die, wie die Universitäten oder Rundfunkanstalten, von der ihnen übertragenen Aufgabe her ,,unmittelbar einem durch bestimmte Grundrechte geschützten Lebensbereich zugeordnet sind.''13 Dies könnte auch für die Studentenschaft bedeutsam werden.

Bei der Prüfung der Bildung von Pflichtkörperschaften am Maßstab des Art.2 Abs.1 GG - Vereinbarkeit mit der ,,verfassungsmäßigen Ordnung'' - wendet das Bundesverfassungsgericht in späteren Entscheidungen nicht nur den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz an, sondern es bringt doch auch den Grundrechtsgehalt des Art. 9 Abs.1 GG zur Geltung, indem es dem Gesetzgeber aufgibt, die Notwendigkeit der Errichtung einer Zwangskörperschaft im Hinblick auf die ,,grundsätzliche Freiheitsvermutung des Art.2 Abs.1 GG und auf den aus Art.9 Abs.1 GG zu folgernden Vorrang der freien Verbandsbildung'' sorgfältig zu prüfen.14 Auf diese Weise schützt doch auch Art.9 GG den einzelnen indirekt gegen die ,,Vereinnahmung'' durch ,,unnötige'' und ,,überflüssige'' Zwangsverbände. ,,Der Staat darf nicht durch beliebige Errichtung öffentlich-rechtlicher Körperschaften das freie Verbandswesen unterlaufen und den freien Vereinigungen durch Pflichtmitgliedschaften in parallelen öffentlich-rechtlichen Verbänden die Lebensmöglichkeit nehmen.''15

Die bremischen und saarländischen Arbeitnehmerkammern, deren Existenz neben den Gewerkschaften zu rechtfertigen war, konnten, an diesem Maßstab gemessen, dem verfassungsgerichtlichen Verdikt mit knapper Not entrinnen; es könne ihnen ,,die Daseinsberechtigung nicht völlig abgesprochen werden.''16 Zu ihren Gunsten wirkten im wesentlichen eine Neutralitätsideologie (a.a.O.,307 f.), ähnlich derjenigen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in bezug auf die Studentenschaften, und das ,,Argument'' der Konservierung eines bereits Bestehenden, der Arbeitnehmerkammern als ,,wesentliche(r), organisch gewachsene(r) Bestandteile der Sozialverfassung.'' (309).

Weder der eine noch der andere Gesichtspunkt ist zur Rechtfertigung einer Zwangskörperschaft ,,Studentenschaft'' ausreichend oder überhaupt akzeptabel. Vielmehr ist in erster Linie zu fragen, was aus der Sicht der Studenten für eine solche Einrichtung spricht. Ohne weiteres leuchtet ein, daß für die Wahrnehmung wirtschaftlicher und sozialer Belange der Studenten eine zentral zuständige Stelle einfacher, sparsamer und wirksamer tätig werden kann als eine unorganisierte Mehrzahl privater Gruppierungen. Man denke etwa an studentische Wohnungs- oder Arbeitsvermittlungen. Freilich könnte man hier auf die Einrichtung des Studentenwerks verweisen und die zusätzliche Bildung einer Körperschaft aus allen Studenten für überflüssig halten.

Tatsächlich gibt es gewichtigere Gründe. Das Gesetz (z.B. § 63 Abs.2 Nr.1 HessHG) deutet sie an, wenn es der Studentenschaft ,,die Vertretung der Gesamtheit ihrer Mitglieder im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugnisse'' zur Aufgabe macht. In der heute nach dem Modell der Gruppenuniversität organisierten Hochschule, in welcher die Studenten zahlenmäßig die weitaus stärkste Gruppe bilden, erscheint es notwendig, mindestens aber zweckmäßig, Organe zu schaffen, in denen sich ein Meinungs- und, in Grenzen, auch Willensbildungsprozeß organisieren kann, der Themen zum Gegenstand hat, die alle Studenten als Studenten betreffen.

In der Gruppenuniversität, deren prinzipielle Vereinbarkeit mit der Wertentscheidung des Art. 5 Abs.3 GG das Bundesverfassungsgericht außer Frage gestellt hat,17 bedürfen alle beteiligten Gruppen - Hochschullehrer, wissenschaftliche Mitarbeiter, Studenten und nichtwissenschaftliche Mitarbeiter - ausreichender Möglichkeiten der internen Diskussion gruppenspezifisch relevanter Fragen sowie der gruppenmäßigen Repräsentation nach innen und nach ,,außen'', d.h. innerhalb der Hochschule wie auch gegenüber dem Hochschul-, Berufs- und Bildungspolitik treibenden Staat und gegenüber anderen am demokratischen Politikprozeß teilnehmenden gesellschaftlichen Kräften. Eine hochschulpolitische Repräsentation von Gruppeninteressen findet freilich auch in den von den politischen Gruppierungen anteilig besetzten zentralen kollegialen Organen der Hochschule statt, in Hessen also in Konvent und Senat, sowie in den Ständigen Ausschüssen.18 Z.B. gehört es zu den Aufgaben des Konvents, in dem die Studenten mit 20:90 bzw. 14:60 Mitgliedern vertreten sind, ,,hochschulpolitische Grundsatzfragen und Fragen der Hochschulreform'' zu behandeln (§ 14 Abs.1 Nr.6 HUG). Es macht aber in zweierlei Hinsicht einen wesentlichen Unterschied aus, ob die Studenten sich organisiert nur durch ihre Vertreter im Konvent (bzw. in den anderen Organen) oder aber (auch) in ihrer Gesamtheit als Studenten durch ein eigenes studentisches Organ zu Gehör bringen können. Im ersten Fall erfolgt die Meinungs- und Willensbildung getrennt nach hochschulpolitischen Gruppierungen, das Abstimmungsverhalten der Gruppenvertreter wird durch das der hochschulpolitisch ähnlich orientierten Vertreter anderer Gruppen wesentlich mitbestimmt und ,,parzelliert''. Vor allem aber ist das Ergebnis der Willensbildung, also etwa in Gestalt eines Konventsbeschlusses, in keinem Falle eine repräsentative Meinungsäußerung ,,der Studenten'' einer Universität, sondern immer nur eine solche des jeweiligen Universitätsorgans. Die Stimme ,,der Studenten'' kann auf diese Weise in der (hochschul-)politischen Öffentlichkeit nicht vernommen werden, nicht einmal zu Themen wie Studienzeitverkürzung, studienbegleitende Leistungskontrollen, Unterrichts- und Prüfungsreform, Studentenwohnheimbau, europa- und weltweiter Studentenaustausch, BAfög-Reform, um nur einige unstreitig ,,studienrelevante'' Probleme anzusprechen.

Der sich hieraus ergebenden Rechtfertigung des Gesetzgebers, der eine organschaftlich gegliederte studentische Gesamtrepräsentation für sinnvoll und in diesem Sinne für ,,legitim'' hält, kann auch nicht mit dem Einwand begegnet werden, eine Repräsentation ,,der Studenten'' könne ohnehin nicht hervorgebracht werden, allenfalls die Verlautbarung einer Mehrheitsauffassung, weil auch die Äußerungen der Organe der Zwangskörperschaft inhaltlich nicht ihren einzelnen Mitgliedern ,,zugerechnet'' würden. Diese Erwägung, die im Schrifttum weniger als Argument gegen eine ,,verfaßte'' Studentenschaft als vielmehr gegen eine Grundrechtsbeeinträchtigung der Mitglieder durch Äußerungen der Studentenschafts-Organe vorgebracht wird, verkennt den Sinn der Repräsentation.19 Selbstverständlich wird der Inhalt eines mit Mehrheit in einem Gremium gefaßten Beschlusses nicht in der Weise jedem von diesem Gremium Vertretenen zugerechnet, daß dessen Meinung mit der Mehrheitsmeinung des Gremiums identifiziert würde. Andererseits erhält der repräsentative Akt sein Gewicht in der Öffentlichkeit aber durch den Umstand, daß virtuell die Gesamtheit der ,,vertretenen'' Studenten, mindestens aber eine Mehrheitsauffassung, mehr oder weniger genau abgebildet, als hinter dem Beschluß ,,stehend'' und diesen inhaltlich ,,tragend'' angenommen werden kann. Das Problem liegt hier nicht anders, als in anderen Fällen demokratischer Repräsentation auch. Es liegt, wie K.von Beyme richtig beobachtet hat, in der Art und Weise der innerverbandlichen Willensbildung.20 ,,Das politische und moralische Mandat braucht den Zwangskörperschaften nicht abgesprochen zu werden, aber es müssen erhöhte Anforderungen an demokratische Willensbildung bei seiner Ausübung und an den Schutz der überstimmten Minderheiten gestellt werden.''

Es muß auch im recht verstandenen eigenen Interesse der repräsentierenden Organe liegen, sich einer möglichst breiten und kontinuierlichen Zustimmung der repräsentierten Mitglieder zu vergewissern. Dies erfordert zunächst, daß alles versucht werden muß, um der um sich greifenden hochschulpolitischen Apathie der studentischen Wählerschaft entgegen zu wirken. Dies wiederum erscheint nur dann aussichtsreich, wenn das Aktionsfeld der Studentenschaft und ihrer Organe von Gesetzes wegen so bemessen wird, daß es für kritische und engagierte Studenten attraktiv erscheint, in der Selbstverwaltung auch auf dieser ,,zentralen'' Ebene aktiv zu werden. Anderenfalls wird diese zu einem verantwortungslosen, von Cliquen beherrschten, phrasenhaften Aktionismus verkommen.

II. Die Pflichtkörperschaft ,,Studentenschaft'' als Trägerin hoheitlicher Befugnisse und als Grundrechtsträgerin?

1. Grundlage der Aufgabenwahrnehmung: Amtsübertragung oder Grundrechtsausübung?

Bejaht man aus den vorstehenden Erwägungen, daß keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen bestehen, daß der Staat zur Wahrnehmung ,,legitimer öffentlicher Aufgaben'' eine Pflichtkörperschaft ,,Studentenschaft'' als juristische Person des öffentlichen Rechts bildet,
21 so stellt sich im Hinblick auf Begründung und Begrenzung des ,,politischen Mandats''die Frage, auf welcher verfassungsrechtlichen Grundlage ein solches ,,Mandat'', welchen Umfang auch immer es haben möge, legitimiert sein könnte. Genauer gefragt: Beruht eine solche Tätigkeit der Studentenschaft auf einer gesetzlichen Zuweisung von Hoheitsfunktionen, ist sie mithin im organisationsrechtlichen Sinne, möglicherweise auch im staatshaftungsrechtlichen Sinne Amtsausübung? Oder handelt es sich um eine öffentliche Aufgabenwahrnehmung, vergleichbar der eines ,,Beliehenen''? Oder geht es im Grunde gar nicht um die Ausübung von ,,Kompetenzen'' und ,,Befugnissen'', sondern um die Wahrnehmung von subjektiven Grundrechten eines ,,öffentlichen Willensverbandes''?22

Man sollte meinen, die jahrelangen wissenschaftlichen, freilich oft polemisch durchtränkten Auseinandersetzungen und die über zwei Jahrzehnte umspannende Judikatur zum Thema hätten mindestens in dieser Grundfrage Klarheit gebracht. Das Gegenteil ist der Fall. Dies darf als Indiz dafür genommen werden, daß der Streit im Kern nicht nur hochschulpolitische Machtpositionen und Einflußchancen bei der Ausgestaltung der ,,Gruppenuniversität'' betrifft, sondern daß Grundsatzfragen der Zuordnung von ,,Verbänden'' oder ,,Kollektiven'' zur Staatsgewalt berührt sind, die mit den herkömmlichen dichotomischen Schemata von (objektivem) ,,Organisationsrecht'' versus (subjektive) Freiheits- oder Grundrechte, von Individuum versus Staat nicht angemessen bewältigt werden können.

2. Drei theoretische Grundpositionen hierzu.

Sieht man von zahlreichen unklaren, inkonsistenten Mischfiguren ab, so lassen sich im wesentlichen drei theoretische Grundpositionen ausmachen, die sich modellartig wie folgt darstellen:

a) Eine erste Betrachtungsweise begreift das Problem der ,,verfaßten Studentenschaft'' wesentlich als eine Frage des staatlichen Organisationsrechts, als ein Problem der ,,mittelbaren Staatsverwaltung''. Wie andere öffentlichrechtliche Zwangskörperschaften auch, z.B. berufsständische Kammern, wird danach die Studentenschaft mit bestimmten, möglichst genau begrenzten hoheitlichen Aufgaben betraut, in deren Wahrnehmung sich ihre rechtliche Existenz erschöpft. Aus dieser Sicht gibt es weder die Frage nach einer möglichen eigenen Grundrechtsträgerschaft der Studentenschaft (also das Problem des Art.19 Abs.3 GG bezüglich juristischer Personen des öffentlichen Rechts) noch infolgedessen die Möglichkeit einer Grundrechtskollision zwischen Individualrechten der Studenten und Verbandsrechten des Repräsentativorgans. Hoheitssphäre und Grundrechtssphäre bleiben säuberlich getrennt. ,,(E)ine Organisationseinheit kann nicht in derselben Hinsicht privat, also grundrechtsberechtigt, und staatlich, also grundrechtsgebunden, sein. Es gibt keine Konvergenzen, Mischungen und Übergänge. Vielmehr herrscht strikte Alternativität. Tertium non datur.''23 Diese Auffassung kann sich scheinbar auf die Auslegung der Grundrechte durch das Bundesverfassungsgericht stützen, welche deren ,,Sinnmitte'' im ,,Schutz der privaten natürlichen Person gegen hoheitliche Übergriffe'' erblickt.24 Ein Grundrechtsschutz einer Zwangskorporation kehre diese Sinnmitte ins Gegenteil.25 Immerhin will das Bundesverfassungsgericht die Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen des öffentlichen Rechts (als Grundrechtssubjekte) von der Funktion abhängen lassen, in welcher die juristische Person von dem beanstandeten Akt der öffentlichen Gewalt betroffen wird. Aber: ,,Besteht diese Funktion in der Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener und geregelter öffentlicher Aufgaben, so ist die juristische Person zumindest insoweit nicht grundrechtsfähig.''26 Dieser letzte Satz ist auch im Blick auf die sonstige Rechtsprechung des Gerichts zu undifferenziert geraten. Er muß in Verbindung mit der weiteren Grundrechts-Definition gelesen werden, mit welcher das Gericht seine ,,Sinnmitte''-Formel ergänzt: ,,darüber hinaus sichern sie (scil.: die Grundrechte) Voraussetzungen und Möglichkeiten für eine freie Mitwirkung und Mitgestaltung im Gemeinwesen.''27

Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung, insbesondere die des Bundesverwaltungsgerichts, läßt eine gewisse Präferenz für diese organisations-hoheitsrechtliche Betrachtungsweise durchschimmern, hält sich aber im übrigen konjunktivisch bedeckt: Selbst wenn die Studentenschaft nach Art. 19 Abs.3 GG grundrechtsfähig wäre - ,,was der Senat hier nicht entscheiden muß''(!) - könnte dies ein allgemeinpolitisches Mandat nicht rechtfertigen, erstens, weil Grundrechte (hier: das aus Art. 5 Abs.1 GG) keinen Titel zu Eingriffen in Grundrechte Dritter (hier: Art. 2 Abs.1 GG der Studenten) böten, und zweitens, weil eine eventuelle Grundrechtssubjektivität der Studentenschaft ohnehin durch deren Kompetenzzuweisung begrenzt wäre.28

b) Eine zweite Theorie-Position, die in der Auseinandersetzung um das ,,politische Mandat'' zwar immer in der Minderheit geblieben ist, öfters aber die Rolle einer fruchtbaren Provokation gespielt hat, kann demgegenüber als kollektivgrundrechtliche Betrachtungsweise apostrophiert werden. In bemerkenswerter Übereinstimmung mit der organisationsrechtlichen Position (zu a)) geht auch sie von dem Dogma aus: ,,Befugnis und subjektives Recht schließen einander aus.''29 Art.19 Abs.3 GG könne mithin nur die Funktion haben, juristischen Personen des öffentlichen Rechts insoweit Grundrechte einzuräumen, als sie keine Befugnisse haben. Anders als die erstgenannte Position, die eine Erweiterung des gesetzlich zugeschriebenen Funktionskreises unter Berufung auf Grundrechte schon deshalb verneinen muß, weil die künstlich geschaffene, von Staats wegen eingesetzte juristische Person überhaupt gar kein Grundrechtssubjekt sei, geht die kollektiv- grundrechtliche Betrachtungsweise umgekehrt davon aus, daß der Verband Träger aller Grundrechte sein könne, soweit sie ihrem Wesen nach auf den Verband anwendbar seien und soweit diese Anwendbarkeit ,,nicht durch Befugnisse verdrängt ist.''30 Mangels besonderer gesetzlicher Funktionszuweisung sei eine bestimmte Tätigkeit der Körperschaft nicht rechts- und verfassungswidrig, sondern im Gegenteil legitime Grundrechtsausübung, sofern dieser nicht die verfassungsmäßigen Schranken eines Grundrechts entgegenstünden. H.Ridder/K.- H.Ladeur gehen dabei über Preuß insofern noch hinaus, als sie schon die Möglichkeit verneinen, daß durch gesetzliche Normierung eines auch nur hochschulpolitischen Mandats eine verwaltungsrechtliche ,,Kompetenz'' der Studentenschaft geschaffen werden könne,(weil entsprechende Äußerungen eben Grundrechtsbetätigung und nicht hoheitliches Verwaltungshandeln seien). ,,Wenn aber nicht einmal hochschulpolitische Erklärungen dem Bereich hoheitlich-kompetenzförmigen Verwaltungshandelns zugeordnet werden können, so muß dies erst recht für sog. allgemeinpolitische Äußerungen gelten.''31 Was für die Anhänger der ersten Betrachtungsweise als ,,widersinnige Emanzipation des juristischen Homunculus von seinem Schöpfer'' erscheint32, nämlich die Überschreitung des gesetzlichen Kompetenzkreises, das ist für die Anhänger der zweiten Position das selbstverständliche Gebrauchmachen eines grundrechtsfähigen Kollektivs von seinen Grundrechten.

c) Nach einer dritten Konzeption ist die ,,verfaßte Studentenschaft'' weder primär als ,,Willensverband'' und deshalb als Grundrechtsträgerin noch primär als Teil der ,,mittelbaren Staatsverwaltung'' und deshalb als Hoheitsträgerin aufzufassen. Vielmehr verdankt sie ihre Existenz und Rechtsfähigkeit dem Umstand, daß die Rechtsordnung sie, ähnlich wie dies bei Universitäten, Fakultäten /Fachbereichen oder Rundfunkanstalten der Fall ist, unmittelbar einem durch bestimmte Grundrechte geschützten Lebensbereich zugeordnet hat.33 Daraus soll sich eine Teil-Grundrechtssubjektivität der juristischen Person ergeben, die jedoch nur im Rahmen der unterverfassungsrechtlichen Aufgaben- und Kompetenzübertragung wirksam werden soll.34

d) Diese zuletzt skizzierte Betrachtungsweise verfolgt einen in zweierlei Hinsicht zutreffenden Ansatz: Erstens akzeptiert sie, daß die Studentenschaft bei der Wahrnehmung der ihr durch Gesetz übertragenen Aufgaben nicht wie ein Privater sondern hoheitlich tätig wird. Sofern es dabei zu Eingriffen in die Freiheitssphäre z.B. ihrer Mitglieder, der Studenten, kommen sollte, beurteilt sich deren Zulässigkeit infolgedessen zunächst nicht unter dem Aspekt kollidierender Grundrechte, sondern als Frage richtiger, ,,verhältnismäßiger'' Gesetzesauslegung und -anwendung. Zweitens erkennt diese Theorie auch zutreffend, daß die Aufgabenübertragung nicht in ,,beliebiger Weise'', sondern um des Schutzes und der Pflege bestimmter Grundrechte willen erfolgt. Als ein solches Grundrecht kommt in erster Linie die ,,Studierfreiheit'', d.h. die Ausbildungsfreiheit durch Teilnahme am hochschulisch organisierten Wissenschaftsprozeß in Betracht. Diese ist teils durch Art.5 Abs.3 GG, teils durch Art.12 Abs.1 in Verbindung mit Art. 3 Abs.1 GG grundrechtlich geschützt, ohne daß es an dieser Stelle auf eine genaue Bestimmung des Verhältnisses dieser Elemente zueinander ankäme.35 In diesem Zusammenhang ist es ein freilich immer wieder geführtes Scheingefecht,36 wenn der sich politisch - ,,hochschulpolitisch'' oder ,,allgemeinpolitisch'' - artikulierenden Studentenschaft vorgehalten wird, ihre Äußerungen trügen keinen ,,wissenschaftlichen'' Charakter, weshalb sie sich nicht auf Art.5 Abs.3 GG berufen könne. Oft wird dies durch den Hinweis ergänzt, die Studentenschaft als solche sei überhaupt nicht in der Lage, ,,wissenschaftlich'' tätig zu werden.

Dies mag weitgehend richtig sein; doch kommt es hierauf nicht an. Denn einerseits genießt der objektiv-institutionelle Schutzbereich ,,Hochschule'', in welchen die Studenten integriert sind und zu deren Schutz wiederum die Studentenschaft ,,verfaßt'' wird, den Schutz des Art. 5 Abs.3 GG und andererseits ist es durchaus möglich (und tatsächlich ist es so), daß die Studentenschaft ihrer Schutzaufgabe nicht durch Inanspruchnahme der (subjektiv-rechtlich verstandenen) Wissenschaftsfreiheit nachkommt, sondern durch die Inanspruchnahme anderer Grundrechte, insbesondere des Rechts der Meinungsäußerungsfreiheit, Art. 5 Abs.1 GG. Oder, um dies im Rahmen der hier vertretenen Konzeption noch zu präzisieren:

Sofern die Studentenschaft zur Erfüllung ihrer gesetzlich übertragenen Aufgaben ,,Meinungen äußert'', ist dies einerseits Kompetenzausübung, die aber andererseits grundrechtlich unmittelbar durch Art.5 Abs.1 GG fundiert und geschützt ist, mittelbar auch durch die objektivrechtliche Garantie der Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs.3 GG. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit wird insoweit ,,in den Dienst'' der institutionell begriffenen Wissenschaftsfreiheit ,,gestellt''.

Diese ,,doppelte'' oder ,,gestufte'' Grundrechtsfundierung bei der Amtsausübung des Organs ,,Studentenschaft'' wird von den genannten (vgl. Fn.34) Autoren nicht hinreichend berücksichtigt, wenn sie der Maxime ,,Grundrechtsberechtigung nur im Rahmen der gesetzlichen Funktionszuweisung'' anhängen. In der Tat muß hier eine wechselseitige Beeinflussung von Grundrechtsgehalt und staatlicher Aufgabenbestimmung anerkannt werden, eine Art ,,Wechselwirkung'', wie sie dem Verfassungsrechtler seit BVerfGE 7, 198, 208 f.(Lüth) für das Verhältnis von Grundrecht und Schrankengesetz geläufig ist. B.Pieroth hat dieses Problem immerhin gesehen, wenn er einräumt: ,,Allerdings kann es so sein, daß eine Beschränkung des gesetzlich festgelegten Funktionsbereichs deshalb unzulässig ist, weil es gerade Inhalt der Grundrechtsgewährleistung ist, der juristischen Person ihren Funktionsbereich in bestimmtem Umfang zu erhalten.''37

Folgt man dieser Auffassung, so ergeben sich Konsequenzen für den (Hochschul-)Gesetzgeber wie für die Rechtsanwendung: Bereits vorhandene Organisations- und Kompetenznormen sind nicht einseitig als unverrückbare Schranken der Grundrechtsbetätigung, sondern ihrerseits im Lichte der Bedeutung des auf diese Weise ,,organisierten'' Grundrechts auszulegen und anzuwenden. Im übrigen hat der Gesetzgeber einen weiten Spielraum, innerhalb dessen er den Funktionskreis einer grundrechtsschützenden Organisation, wie hier der verfaßten Studentenschaft, enger oder weiter, so oder anders zu bestimmen vermag. ,,Grundrechtsgeboten'' ist hier im Bereich des Organisationsrechts nicht eine ,,Grundrechtsoptimierung'' oder ,,-maximierung'' schlechthin, sondern die Herstelllung solcher Strukturen und die Begründung solcher Kompetenzen, die eine erfolgreiche Wahrnehmung der Grundrechts-Schutzaufgabe ermöglichen.38 Eine Festlegung des Gesetzgebers, die Studentenschaft auf die ,,Wahrnehmung der hochschulpolitischen Belange ihrer Mitglieder'' - vgl. § 63 Abs.2 Nr.2 HHG - (und einige andere Aufgaben) zu beschränken, ist deshalb verfassungsrechtlich nicht zu begründen. Der Gesetzgeber könnte sogar, wenngleich dies nach dem zu I.2. Gesagten nicht besonders zweckmäßig wäre, auf die Einrichtung einer ,,verfaßten Studentenschaft'' überhaupt verzichten, sofern er Sorge dafür trägt, daß die Studenten sich auch als Gruppe(n) inner- und außeruniversitär in ausreichendem Maße zu Gehör bringen können. Auf der anderen Seite begegnet aber auch eine Ausweitung der studentenschaftlichen Befugnisse, wie sie etwa der Regierungsentwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Hochschulgesetzes vom 18. September 1992 in Nr.43 zu § 50 vorsieht,39 keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Meinungs- und der Wissenschaftsfreiheit der einzelnen Studenten. § 50 Abs.3 des Entwurfs lautet in den hier interessanten Teilen:

,, (3) Die Studentenschaft hat die Belange der Studierenden in Hochschule und Gesellschaft wahrzunehmen und die Verwirklichung und Weiterentwicklung der Ziele und Aufgaben der Hochschule zu fördern. In diesem Sinne nimmt sie für ihre Mitglieder ein politisches Mandat wahr. Die Studentenschaft hat insbesondere folgende Aufgaben:...( Es folgt im wesentlichen der herkömmliche Aufgabenkatalog.Dann heißt es weiter:) Die Studentenschaft kann auch zu allen Fragen Stellung nehmen, die sich mit der gesellschaftlichen Aufgabenstellung der Hochschulen sowie mit der Anwendung der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Abschätzung ihrer Folgen für die Gesellschaft und die Natur beschäftigen. Sie unterrichtet die Hochschule und die Öffentlichkeit über ihre Arbeit.''

Die ,,Belange der Studierenden in (der) Gesellschaft'' können jedenfalls wesentlich weiter und umfassender ausgelegt werden als die ,,hochschulpolitischen Belange'' in der bisher üblichen Aufgabenumschreibung. Auch die Möglichkeit, zur Anwendung und zu den gesellschaftlichen Folgen wissenschaftlicher Erkenntnisse Stellung zu beziehen, sowie die Hochschule und die Öffentlichkeit auch hierüber zu unterrichten, eröffnet der Studentenschaft thematisch ein breites, nahezu unbegrenztes Aktionsspektrum.40

Doch ist mit der Bezugnahme auf die ,,Studierenden'' und ihre Belange einerseits, auf die ,,Wissenschaftlichkeit'' der Erkenntnisse andererseits ein Bezug auf den institutionalisierten Ausbildungs- und Wissenschaftsprozeß gewahrt, der die Zuordnung dieser ,,Kompetenzen'' zu den Schutzbereichen von Ausbildungs- und Wissenschaftsfreiheit rechtfertigt. Man darf dabei auch nicht aus dem Auge verlieren, daß die ,,Aufgabenwahrnehmung'' in diesen Bereichen im wesentlichen im Äußern von Meinungen, im Verabschieden von ,,Deklarationen'', allenfalls von ,,Manifesten'' und Forderungskatalogen bestehen wird, nicht aber in der Ausübung irgendwelcher Zwangsbefugnisse. Als mittelbares Äußern von Meinungen kann dabei auch die Leistung von finanziellen Unterstützungen an außenstehende Vereine oder Gruppen durch die Studentenschaft angesehen werden, die auf diese Weise als ,,Sprachrohr'' der Studentenschaft funktionieren können.41

Die genaueren Kriterien zur Eingrenzung der möglichen studentenschaftlichen Aufgabenbestimmung sind noch zu entwickeln.

III. Zum Verhältnis zwischen der Pflichtkörperschaft ,,Studentenschaft'' und ihren Mitgliedern

Die Meinungsverschiedenheiten über die ,,Rechtsnatur'' der ,,Zwangskörperschaft'' Studentenschaft (vgl.o. II.2.) setzen sich, was nicht verwundert, bei der Frage fort, wie kompetenzüberschreitende Meinungskundgaben der Pflichtkörperschaft, also, nach bisher h.M. etwa eine eindeutige Inanspruchnahme eines allgemein-politischen Mandats, im Verhältnis zu den Verbandsmitgliedern zu qualifizieren seien. Die Anhänger der ,,etatistischen'' Betrachtungsweise werden hier mit H.Bethge dafürhalten: ,,Nicht Grundrechtskollisionen, sondern Grundrechtseingriffe stehen zur Debatte.''42 Eine Überschreitung der gesetzlichen Kompetenzen führt danach nicht zu einem Grundrechtskonflikt im Schutzbereich des Art.5 Abs.1 GG, sondern schlicht zu einem gesetzwidrigen Eingriff, den das Verbandsmitglied unter Berufung auf Art.2 Abs.1 GG abzuwehren vermag.43 Im Zusammenhang mit dem allgemeinen politischen Mandat die Rechtsfigur der Grundrechtskollision zu bemühen, ist für Bethge ,,ein - freilich sehr geschickt drapiertes, zum Teil in den Dienst handfester ideologischer Ambitionen gestelltes und von hieraus in besonderem Maße widerlegungsbedürftiges - Scheinproblem.''44

Dies wird von den Verfechtern einer ,,kollektivgrundrechtlichen'' Betrachtungsweise (s.o. II.2.b)) allerdings ganz anders gesehen. Meinungsäußerungen der organschaftlich handelnden Studentenschaft fallen danach in den Schutzbereich des Art.5 Abs.1 GG und sollen andererseits auch geeignet sein, die (,,negative'') Meinungsfreiheit der Verbandsmitglieder zu verletzen.45 Teilweise wird trotz grundrechtlichen Theorieansatzes eine ,,Kollision'' schon als Möglichkeit ausgeschlossen.46 Unklar bleibt, ob die Möglichkeit einer Grundrechte-Kollision prinzipiell auch im Bereich des kompetenzgemäßen Organhandelns besteht - mit der Folge der Verdrängung der Mitgliedergrundrechte durch die hoheitliche Handlungsbefugnis des Verbandes - oder ob die grundsätzliche Inkompatibilität der Grundrechtssubjektivität der juristischen Person mit ihrer Kompetenzsphäre47 dazu führen muß, daß die Kollisionslage auf die Fälle einer Meinungsäußerung außerhalb der Befugnissphäre des Verbandes beschränkt bleibt.

Die Rechtsprechung, zumal die des Bundesverwaltungsgerichts48, hält sich in der Frage der Grundrechtssubjektivität der Pflichtkörperschaft unentschieden und weist nur - völlig zutreffend - darauf hin, daß ein etwaiges Grundrecht des Verbandes diesem zwar ein Abwehrrecht gegen den Staat, nicht aber ein Eingriffsrecht gegen seine Mitglieder verschafft.

Eine zutreffende Vorstellung darüber, ob eine kompetenzgemäße bzw. -widrige Meinungsäußerung des Verbandes einen rechtmäßigen/rechtswidrigen Grundrechtseingriff gegenüber den Mitgliedern bedeutet oder ob hier eine Grundrechtskollision vorliegt oder keines von beiden, wird man nur entwickeln können, wenn man sich die Beziehungen zwischen Studentenschaft und Studenten verdeutlicht. Hierüber herrscht Unklarheit und Streit, insbesondere zur Frage, ob und in welcher Weise Erklärungen des Verbandes seinen Mitgliedern ,,zugerechnet'' werden können oder müssen und was dies rechtlich bedeutet.

Wenn die Studentenschaft der Universität X ,,im Namen der Studierenden'' dieser Universität eine (allgemein)politische oder hochschulpolitische Erklärung abgibt oder ein solche Forderung erhebt, wird dann hierdurch die ,,negative'' Meinungsäußerungsfreiheit dieser Studierenden ,,berührt'', weil diese Erklärung allen Studierenden der Hochschule ,,zugeschrieben'', ,,zugerechnet'' oder gar ,,angelastet'' wird? Und wenn die Studentenschaft ihre Äußerungskompetenz überschreitet, wird deshalb dann die Meinungsäußerungsfreiheit dieser Studenten und Studentinnen verletzt?

Die umstandslose Bejahung dieser Fragen, wie sie auch in der Rechtsprechung zu finden ist,49 beruht auf der doppelten Verkennung des Schutzzwecks und des Schutzbereichs des Art.5 Abs.1 GG einerseits und der zwischen Studenten und Studentenschaft bestehenden Repräsentationsbeziehung andererseits.

Das Grundrecht der Meinungsfreiheit, Art.5 Abs.1 GG, ist als Meinungsäußerungsfreiheit wie als Informations- oder Rezipientenfreiheit in erster Linie ein individuelles Freiheitsrecht, welches dem Einzelnen die vom Staat unbeeinträchtigte Teilnahme an der Vielfalt der Kommunikationsprozesse gewährleisten soll. Als Träger des Grundrechts kommt immer derjenige in Betracht, der selbst eine Meinung äußern oder verbreiten will. Zu dieser Freiheit der Teilnahme an Kommunikationsprozessen gehört auch die freie Entscheidung darüber, ob man an einem solchen Prozeß überhaupt teilnehmen will oder nicht. Diese Freiheit, eine (bestimmte) Meinung nicht zu äußern oder zu verbreiten, und die Freiheit, fremde Meinungen weder empfangen noch als eigene oder als fremde äußern oder verbreiten zu müssen, kann man als ,,negative Meinungsfreiheit'' zusammenfassen, die ebenfalls den Schutz des Art.5 Abs.1 GG genießt. Der Schutz richtet sich gegen den Staat und seine Organe; über Grenzen und Einschränkungen dieses Rechts, z.B. durch gesetzlich vorgeschriebene Aussage- oder Hinweispflichten, ist in diesem Zusammenhang nicht zu sprechen.50

Art.5 Abs.1 GG schützt aber nicht nur die Kommunikatorfreiheit des Einzelnen, sondern auch die von Gruppen als Gruppen und von Personenvereinigungen. ,,Der Prozeß der Meinungsbildung wäre nur unzureichend abgesichert, wenn nur Meinungen einzelner natürlicher Personen erfaßt wären, nicht aber die - u.U. durch Mehrheitsbildung gewonnenen und deshalb von den persönlichen Meinungen gesonderten - Bewertungen oder Tatsachenbehauptungen, die von Personenvereinigungen geäußert werden.''51 Solche Meinungsäußerungen sind dann Äußerungen der Gruppe oder Vereinigung, gleichgültig, ob diese als juristische Person (etwa als eingetragener Verein) organisiert ist oder nicht. Die Äußerungen des Verbandes, die dieser als solcher abgibt, können nicht als Äußerungen der einzelnen Mitglieder angesehen werden. Diese können sich durch eigene Meinungskundgaben von den Verbandsäußerungen distanzieren oder sich mit ihnen identifizieren: rechtlich bleiben Verbandsäußerungen und Mitgliederäußerungen nach Subjekt und Inhalt getrennt. Deshalb ist auch die Verbandsäußerung eines öffentlichrechtlichen Pflichtverbandes kein Eingriff in die ,,negative Meinungsfreiheit'' eines (inhaltlich dissentierenden) Mitgliedes, weil diesem keine (fremde) Meinung (als eigene) ,,aufgezwungen'' wird, weil das Mitglied dadurch, daß sich der Verband äußert, selbst keine Meinung kundgibt.

An diesem Sachverhalt ändert sich auch nichts, wenn die Verbandsorgane ,,im Namen'' aller Mitglieder sprechen, wenn also etwa der AStA ,,im Namen'' ,,der Studierenden'' Forderungen erhebt und Erklärungen abgibt. Es ist sicher richtig, wie das OVG Hamburg (a.a.O.) beobachtet, daß die Verbandsorgane bemüht sind, ihren Kundgaben durch die Berufung auf die Gesamtheit der ,,vertretenen'' Verbandsmitglieder politisch ein möglichst großes Gewicht zu verschaffen, doch kann dies nicht dazu führen, daß die Verbandsäußerung jedem einzelnen Mitglied in der Weise ,,angelastet'' wird, daß dieses nun rechtlich als Subjekt und Autor jener Äußerung angesehen würde. Der personale Charakter der Meinungsfreiheit würde damit im Kern verkannt. Außerdem weiß heute jedermann und muß berücksichtigen, daß Verlautbarungen von Kollektiven bestenfalls das Ergebnis eines nach Mehrheitsgrundsätzen ablaufenden Meinungs- oder Willensbildungsprozesses wiedergeben, so daß, sofern nicht ausdrücklich Einstimmigkeit festgestellt worden ist, immer nur angenommen werden kann, daß eine Mehrheit hinter der Kundgebung steht, während eine Minderheit dissentiert.

Diese Überlegung führt zu einer genaueren Bestimmung der zwischen den einzelnen Mitgliedern und dem Pflichtverband ,,Studentenschaft'' bestehenden Beziehung der Repräsentation. Dieser hat, wie die Hochschulgesetze (z.B. § 63 Abs.2 HHG) sagen, bestimmte Belange seiner Mitglieder ,,wahrzunehmen'' und die Gesamtheit seiner Mitglieder ,,zu vertreten''. Daß es sich hierbei nicht um eine bürgerlich-rechtliche Stellvertretung handelt, durch welche die einzelnen Studenten rechtsgeschäftlich wirksam verpflichtet werden können, liegt auf der Hand. Vielmehr geht der Gesetzgeber, wie dargelegt (s.o. I. 2.), davon aus, daß es ,,Belange'' gibt, die alle Studenten in ihrer Eigenschaft als Studenten spezifisch interessieren und betreffen. Damit diese in der hochschul-, gesellschafts- oder sozialpolitischen Auseinandersetzung ,,gebündelt'' (und damit wirksamer) zu Gehör gebracht werden können, richtet der Gesetzgeber einen ,,studentenspezifischen'' Meinungs- und Willensbildungsprozeß nach den Grundsätzen demokratischer Repräsentation (Wahlen, ,,Abgeordnete'', Organbildung, Mehrheitsbeschlußfassung usw.) ein, und um dessen Repräsentationsbasis möglichst breit zu halten, läßt er unmittelbar kraft Gesetzes alle Studierenden einer Hochschule Mitglieder des Verbandes sein. Hieraus erhellt, daß die inhaltliche Koordination von Verbandsäußerungen und Mitgliederäußerungen kein Problem der Grundrechte-Kollision im Schutzbereich des Art. 5 Abs.1 GG ist, vielmehr ein Problem der freiheitlich-demokratischen Ausgestaltung der Teilhabe-Möglichkeiten des einzelnen Studierenden an dem Prozeß der Verbands-Meinungs- und -Willensbildung und ein Problem des gesetzmäßigen Handelns der Verbandsorgane im Rahmen der ihnen zugewiesenen Befugnisse. Nur im Sinne der von Gesetzes wegen verordneten Repräsentation wird die Tätigkeit der Verbandsorgane, seien es Meinungsäußerungen oder Handlungen anderer Art, auch den Verbandsmitgliedern ,,zugerechnet'', nicht im Sinne der Autorschaft der Mitglieder für Verbandsäußerungen.

Wird die Repräsentationsbeziehung durch ein gesetzwidriges Verhalten der Organe gestört, so steht den Mitgliedern ein Abwehr- bzw. Unterlassungsanspruch aus der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs.1 GG zu, da ihnen die Möglichkeit der Distanzierung durch Verbandsaustritt genommen ist. Denn niemand braucht es zu dulden, daß irgend jemand sich in rechtswidriger Weise als Repräsentant mit hoheitlichen Befugnissen in irgend einer Hinsicht für einen anderen geriert.

IV. Das ,,politische Mandat'' der Studentenschaft und seine Grenzen.

1. Leitgesichtspunkte für eine Grenzbestimmung

Versuchen wir, die bisherigen Überlegungen für die Beantwortung der Frage nach den gesetzlich auszugestaltenden Grenzen der politischen Tätigkeit einer ,,verfaßten Studentenschaft'' nutzbar zu machen, so fordern vor allem die folgenden drei Leitgesichtspunkte Berücksichtigung:

a) Eine äußerste, gewissermaßen ,,absolute'' Grenze politischer Manifestationen ergibt sich für die Studentenschaft aus dem Demokratieprinzip und insbesondere aus dem aktivbürgerlichen Grundstatus jedes einzelnen Studenten. Dieser Gesichtspunkt ist in der bisherigen Diskussion und Rechtsprechung noch nicht mit der notwendigen Deutlichkeit herausgearbeitet worden. Er wird insbesondere von jenen Positionen verkannt - und das ist eine notwendige Konsequenz ihres Ansatzes -, welche in einseitiger Betrachtung die Betätigung der Studentenschaft (nur) als Grundrechtsausübung begreifen wollen. Die Schranken derselben seien ,,nur dann überschritten, wenn die politischen Kundgaben der Körperschaftsorgane den der Körperschaft vorgegebenen Zweck - ... - bestreiten oder durch andere Zwecksetzungen ablösen.''52

Dieser Fall dürfte so gut wie nie eintreten und ist für die praktisch-politische Auseinandersetzung uninteressant.

Die ,,absolute'' Grenze des politischen Mandats aus dem Demokratieprinzip bedeutet vielmehr, daß keine Körperschaft mit Pflichtmitgliedschaft begründet werden darf, die einerseits an eine besondere Eigenschaft des Bürgers jenseits seiner allgemeinen Qualität als ,,aktiver Staatsbürger'' anknüpft und die andererseits für diesen ein Verhältnis der allgemeinen politischen Repräsentation begründen soll. Ein solcher Vorgang würde die dem Grundgesetz zugrundeliegende egalitäre Demokratie sprengen und einen Rückfall in voraufklärerische ständestaatliche Vorstellungen bedeuten. Die zwischen Student und Studentenschaft zu begründende Repräsentationsbeziehung muß schon aus diesem Grund eine der besonderen Repräsentation sein.

b) Der zweite Leitgedanke richtet sich auf die Möglichkeiten, die thematischen Grenzen dieser besonderen Repräsentation näher zu bestimmen. Formulierungen wie ,,Belange der Studenten in Hochschule und Gesellschaft''53 oder gar, noch allgemeiner, ,,Wahrnehmung der studentischen Interessen''54 tragen zwar der ,,absoluten'' Grenze (o.zu a)) in formaler Weise Rechnung, enttäuschen aber in maßstäblicher Hinsicht.

Hier kommt man einen Schritt weiter, wenn man sich vergegenwärtigt, welche ,,Belange der Studenten'' in deren wohlverstandenem Interesse besonderer Sicherung gegen Gefährdung und darüber hinaus der Förderung bedürfen. Sie lassen sich in drei übergreifende Gruppen bzw. in drei Sphären aufgliedern, deren Grenzen sich freilich überschneiden, die aber doch als Schwerpunkte eines (möglichst) objektiv verstandenen studentischen Interesses unterscheidbar sind: 1. Wissenschaft und Hochschule; 2. Ausbildung, soziale Sicherung und Berufschancen; 3.,,allgemeine'' Voraussetzungen für freie Wissenschaft und Ausbildung: Grundlagen der freiheitlichen Verfassung, Wahrung der Menschenrechte.

Alle drei Sphären bedürfen genauerer Betrachtung.

c) Zuvor ist jedoch der dritte für eine gesetzgeberische Bearbeitung des Themas relevante Leitgedanke zu benennen. Er betrifft die organisatorische und verfahrensmäßige Ausgestaltung der Repräsentationsbeziehung zwischen repräsentierender Körperschaft und ihren Mitgliedern. Je weiter (und vielleicht folgenreicher) der Aktionsspielraum ist, den die Körperschaftsorgane wahrnehmen können und sollen, um so wichtiger ist es, daß der körperschaftliche Meinungs- und Willensbildungsprozeß nach ,,demokratischen Grundsätzen'' - entsprechend denen des Art.21 Abs.1 GG - organisiert wird.55 In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Grundentscheidung darüber zu treffen, ob die Studentenschaft als Organ und ,,Sprachrohr'' der Studenten einer Hochschule bei ihren Äußerungen und Aktionen einer besonderen Neutralitätspflicht und Pflicht zur ,,Ausgewogenheit'' und zum Pluralismus unterworfen werden soll, wie dies in der Rechtsprechung zum Teil gefordert wird.56 Organisatorisch würde dies besondere Minderheitenschutzklauseln, besondere Abstimmungsquoren, das Recht zur Abgabe von Minderheitenerklärungen u.ä. bedeuten. Dem Gesetzgeber ist indessen größte Zurückhaltung auf einem solchen Wege anzuraten. Die Studentenschaft und ihr Organ, das Studentenparlament, sind nicht mit einer (öffentlichrechtlichen) Rundfunkanstalt und deren Rundfunkrat zu vergleichen. In diesen müssen ,,alle maßgeblichen gesellschaftlichen Gruppen und Richtungen'' zu Worte kommen können und vertreten sein57; für jene kann dies wegen der ganz anderen Funktion nicht gelten. Der Rundfunk muß als ,,Faktor und Medium'' des das ganze Volk berührenden öffentlichen Meinungsbildungsprozesses in der Tat alle Gruppierungen und meinungsmäßigen Strömungen berücksichtigen; er darf in seiner Programmpolitik durch majoritäre Einseitigkeiten nicht sozusagen das Ergebnis eines Auseinandersetzungsprozesses vorwegnehmen, der doch mit seiner Hilfe überhaupt erst konstituiert und geführt werden soll. Dies verhält sich bei der Studentenschaft anders. Sie bietet mit ihren Organen, insbesondere mit dem Studentenparlament, zu denken ist aber auch an ,,Vollversammlungen'', die Foren, auf welchen die öffentlichen Auseinandersetzungen geführt werden sollen, an denen sich jeder Studierende beteiligen kann. Die Verlautbarungen, die die Studentenschaft dann ,,im Namen'' der Studenten publiziert, sind nicht Teil des ,,innerstudentischen'' Diskussionsprozesses, sondern dessen jeweiliges Ergebnis, (das freilich seinerseits wieder Ausgangspunkt für neue Auseinandersetzungen sein kann). Die im einzelnen durch Satzungsrecht zu treffenden organisatorischen und verfahrensrechtlichen Regelungen müssen die chancengleiche Teilnahme aller studentischen Gruppierungen an dem Meinungs- und Willensbildungsprozeß der Studenten insgesamt gewährleisten; im übrigen kann nach dem Mehrheitsprinzip verfahren werden. Besondere Besitzstände oder Minderheitenpositionen sind nicht zu garantieren. Eine scheinbare Ausnahme kann allenfalls im Hinblick auf eine stärkere Repräsentanz der Fachbereiche auf der Ebene der gesamten Studentenschaft erwogen werden. Dies entspräche der Funktion und Bedeutung der Fachbereiche als den ,,organisatorischen Grundeinheiten der Hochschule''58. Hierdurch könnte stärker an die je spezifischen Studieninteressen wie auch an die Interessen hinsichtlich des späteren Berufs angeknüpft werden. Dies könnte wiederum günstige Auswirkungen auf das allgemeine hochschulpolitische Engagement der Studenten und auf ihre Motivation zur Beteiligung an der Gremienarbeit haben. Auch könnte auf diese Weise eine bessere Verknüpfung der studentischen Mitarbeit in den Fachbereichsorganen mit der studentischen Selbstverwaltung auf der zentralen Ebene erreicht werden.

2. ,,Belange der Studenten'' - Problemfälle

a) Der Komplex ,,Wissenschaft und Hochschule'' als Gegenstand politischer Tätigkeit der verfaßten Studentenschaft weist einen äußeren, institutionellen und einen inhaltlichen, ,,materiellen'' Aspekt auf. Der erstere fällt unter den Begriff der ,,hochschulpolitischen Belange'' der Studenten in einem engeren Sinne. Hier geht es z.B. um Fragen der Beteiligungsverhältnisse in den Gremien der ,,Gruppenuniversität'', aber auch um Fragen der Hochschulentwicklungsplanung oder der Haushaltspolitik. Der zweite, ,,materielle'' Aspekt betrifft Fragen der Akzentsetzung in der Forschungspolitik, aber auch Fragen der wissenschaftlichen Lehre, insbesondere soweit diese nicht unmittelbar ausbildungsbezogen ist. Die Übergänge zum institutionellen Aspekt sind, wie sich bei der Haushaltsplanung besonders deutlich zeigt, fließend. Die inhaltliche Seite der Wissenschaftsentwicklung wird auch berührt, wenn Fragen der gesellschaftlichen Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse thematisiert werden. Sie gehören mit Sicherheit nicht mehr unter den Begriff der ,,hochschulpolitischen Belange'' in einem engeren Sinne. Ebensowenig können sie generell unter ,,Fragen der akademischen Berufsausbildung'' subsumiert werden. Beide Umstände könnten zu Zweifeln Anlaß geben, ob derartige Fragestellungen überhaupt noch in den Bereich ,,legitimer'' studentenschaftlicher ,,Politik'' fallen können.

Demgegenüber ist jedoch daran zu erinnern, daß die Reflexion auf die gesellschaftliche Funktion von Wissenschaft insgesamt wie auch auf die gesellschaftlichen Folgen bestimmter wissenschaftlicher Erkenntnisse und Entwicklungen heute zum ,,Berufsbild'' eines verantwortlich handelnden Wissenschaftlers gehört. Eine Vorschrift wie die ,,Informationsverpflichtung'' des § 6 HUG versucht diesem Gedanken eine juristisch greifbare Gestalt zu geben. (Ob dies gelungen ist, ist hier nicht zu untersuchen). Die Körperschaft ,,Studentenschaft'' ist selbst wohl kaum an ,,Forschung und Lehre'' beteiligt.59 Doch nehmen ihre Mitglieder, in unterschiedlicher Intensität und meist als ,,Lernende'' am Wissenschaftsprozeß teil. Insofern sind auch sie aufgerufen, den verantwortlichen Umgang mit (gefahrenträchtigen) wissenschaftlichen Erkenntnissen zu reflektieren. Dies kann, als ein gesellschaftlich relevanter Vorgang, nicht nur im ,,stillen Kämmerlein'' des einzelnen Studenten geschehen. Die interne und externe Öffentlichkeit der Studentenschaft bietet eines der möglichen Foren, um solche Reflexionen in den übergreifenden gesellschaftlichen Diskurs einzubringen. Dabei liegt es in ,,der Natur der Sache'', wenn die studentische Diskussion sich mit Betonung auch solchen Themen zuwenden wird, die ökologische oder gesundheitliche Langzeiteffekte bestimmter Technologien zum Gegenstand haben.

Diese Einbeziehung der Stellungnahme zu möglichen Gefahrenfolgen wissenschaftlicher Erkenntnisse in den Themenkreis der Belange der Studenten erweitert diesen gegenüber den bisher von der Rechtsprechung gezogenen Grenzen beträchtlich. So würde beispielsweise eine Äußerung einer Studentenschaft zu den Gefahren der Nutzung der ,,Plutoniumtechnik'' aus Anlaß des Baues einer atomaren Wiederaufbereitungsanlage nicht mehr mit der Begründung untersagt werden können, der Bau einer solchen Anlage sei ein Vorgang von allgemeiner politischer Bedeutung, der nicht Fragen der Hochschulpolitik oder sonstige studentische Angelegenheiten in hochschulspezifischer Weise betreffe.60

Die Befürchtung, auf diese Weise würden der Studentenschaft Tür und Tor zu hemmungsloser, einseitiger politischer Propaganda geöffnet, entbehrt dennoch der Begründung. Denn erstens bedeutet das Recht zur verantwortlichen Stellungnahme nicht einen Freibrief für propagandistische Agitation oder gar zu Aufrufen zur Gewaltanwendung, und zweitens wird thematisch nicht jede beliebige Wissenschafts- und Technik-Folgen-Diskussion erfaßt, sondern nur eine solche, die durch das besondere Gefahrenpotential einer bestimmten Wissenschaftsanwendung veranlaßt ist.61

b) Der mit den Stichwörtern ,,Ausbildung, soziale Sicherung und Berufschancen'' abkürzend umschriebene zweite Themenkomplex dürfte de lege ferenda weniger Zündstoff bieten. Daß die Studentenschaft sich mit der studentischen Wohnungsnot beschäftigen und in diesem Kontext die Wohnungsbaupolitik einer Regierung (auf allen Ebenen: Kommune, Land, Bund) kritisieren darf, dürfte kaum Widerspruch finden. Ähnliches gilt für eine Kritik der Nahverkehrspolitik im Zusammenhang mit der Gestaltung der Verkehrstarife. Der zulässige Aktionsrahmen dürfte hingegen bei einer Erklärung zur (Alten-)Pflegeversicherung überschritten sein.

In den Themenbereich ,,Berufschancen'' (der Hochschulabsolventen) fallen auch, daran sei hier erinnert, Fragen der Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau im Berufsleben.

c) Besondere Abgrenzungsschwierigkeiten sind bei Themen aus dem dritten der oben (IV.1.b.) genannten Großkomplexe zu erwarten. Eine freiheitliche Entwicklung der Wissenschaften und ebenso ihre freie Vermittlung im Rahmen einer Hochschulausbildung sind, ungeachtet aller Beschränkungen durch ,,Auftragsforschung'', Forschungsfinanzierungspolitik und Ausbildungssteuerung durch Anforderungen an die Berufsausübung, an die Existenz bestimmter gesellschaftlicher und politischer Voraussetzungen gebunden, die unter der Herrschaft des Grundgesetzes als ,,freiheitliche demokratische Grundordnung'' Anerkennung und normative Absicherung gefunden haben. Zu ihr gehören Grundelemente des freien demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozesses wie Parteienfreiheit und -pluralismus, Medienfreiheit, Zensurverbot ebenso wie Grundrechte insgesamt, Gewaltenteilung, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und Unabhängigkeit der Justiz.62 Vor allem gehört die Anerkennung der Menschenrechte zu dieser Ordnung. Eine Infragestellung, Schwächung oder gar Beseitigung dieser Ordnung würde auch die Grundlagen einer freien Wissenschaft, eines mit Autonomie ausgestatteten Hochschulwesens und damit auch eines ,,freien'' Studiums antasten oder zerstören. Hieraus ergibt sich die Berechtigung der verfaßten Studentenschaft, wenn nicht geradezu ein Auftrag an sie, bei Gefährdungen dieser Grundlagen auch ihrer eigenen Existenz aktiv zu werden.

Mag dies dem Grundsatz nach weitgehend Zustimmung finden, so gehen doch die Meinungen bei den notwendigen Abgrenzungen im Einzelfall weit auseinander. So hat z.B. das OVG Hamburg versucht, eingrenzende Kriterien zu entwickeln, und vorgeschlagen, bei einer Verletzung von Grundrechten oder Menschenrechten eine Stellungnahme der studentischen Körperschaft nur zuzulassen, wenn die Verletzung sich unmittelbar auf Wissenschafts- und Ausbildungsfreiheit auswirken könnte. Dies könne nur ausnahmsweise bejaht werden, ,,wenn nämlich eine so außergewöhnliche Verletzung von Grundrechten vorliegt, daß letztlich das gesamte Staatsgefüge und damit auch die Freiheit der Wissenschaft und des Studiums davon betroffen sein könnte.'' Ein strenger Maßstab sei anzulegen, da es nicht Aufgabe der Studentenschaft sei, als ,,Hüterin der Verfassung'' tätig zu werden.63 Freilich, wenn erst das ,,gesamte Staatsgefüge'' erschüttert sein muß, damit die Studentenschaft ihre (vergleichsweise ohnehin schwache) Stimme erheben darf, dann dürfte es zur wirksamen Gefahrenabwehr schon zu spät sein. Davon abgesehen, ist das Kriterium der ,,Unmittelbarkeit'' hier wie auch anderswo (z.B.im Polizeirecht64) viel zu unscharf, im Grunde nichtssagend, als daß es brauchbare Abgrenzungen liefern könnte. Vielmehr wird man der Studentenschaft hier, zumal es um die Verteidigung eigener Grundrechte bzw. um die Grundrechte ihrer Mitglieder geht, eine beträchtliche Einschätzungsprärogative einräumen: in dem ihr zugewiesenen Grundrechtsbereich ist sie sehr wohl zur ,,Hüterin der Verfassung'' bestellt.

Dies wird möglicherweise problemlos Zustimmung finden, soweit Grund- und Menschenrechtsverletzungen in Rede stehen, welche Rechte betreffen, die der Wissenschaftsfreiheit ,,benachbart'' oder ,,verwandt'' sind. Man mag hier die Pressefreiheit oder die Kunstfreiheit im Auge haben. Wie steht es aber mit Verletzungen anderer Rechte, und besonders dann, wenn nicht der Staat, sondern Dritte als Verletzer auftreten? Man denke etwa an Gewalttaten gegen Ausländerwohnungen und deren Bewohner. Gehört es zu den Aufgaben der Studentenschaft, gegen ,,Ausländerfeindlichkeit'' und im Zusammenhang damit verübte Straftaten Stellung zu nehmen? Dies ist zu bejahen, soweit die Verletzung elementarer Gebote der Mitmenschlichkeit und der Toleranz und die Achtung grundlegender Menschenrechte wie die Unversehrtheit von Leib und Leben oder die Unverletzlichkeit der Wohnung in Rede stehen. Ein Staat, der, wie das Land Hessen, den Grundsatz der Duldsamkeit als Erziehungs- und Unterrichtsziel in der Verfassung festschreibt,65 und der außerdem die Nichtduldung von Auffassungen normiert, ,,welche die Grundlagen des demokratischen Staates gefährden'', der kann bei der Aufgabenzuweisung an eine Pflichtkörperschaft nicht anders verfahren.

Dies ist auch bei der Beurteilung von Sachverhalten mit Auslandsbezug zu berücksichtigen. Für im Ausland vorkommende Verletzungen der Wissenschaftsfreiheit durch Veröffentlichungsverbote, ,,Psychiatrisierung'' von regierungskritischen Wissenschaftlern und unzählige andere Maßnahmen ist die ,,Zuständigkeit'' zur Kritik für die Studentenschaft aus der grenzüberschreitenden Einheit der Wissenschaft gegeben. So wie es keine ,,Deutsche Physik'' und keine ,,sowjetrussische sozialistische Abstammungslehre'' geben konnte und kann, so wird die Wissenschaftsfreiheit überall auf der Welt tangiert, wenn sie an einem Ort derselben verletzt wird.66

Bei sonstigen ausländischen Sachverhalten oder Inlandsproblemen mit Auslandsbezug ist zu differenzieren. Mit Sicherheit gehört es nicht zu den Aufgaben einer Studentenschaft, die Außenpolitik der Bundesregierung kritisch zu kommentieren; entsprechendes gilt für die Politiken anderer Staaten. Auch Fragen der Sicherheitspolitik, etwa, ob die Bundeswehr nur zu ,,Blauhelmeinsätzen'' oder darüber hinaus oder ,,out of area'' überhaupt nicht eingesetzt werden soll oder darf, eignen sich nicht als Gegenstand studentenschaftlicher Erklärungen.

Wesentlich anders verhält es sich aber, wenn diese wiederum zu elementaren Menschenrechtsverletzungen Stellung nehmen. Das umspannt Sachverhalte, wie sie in der internationalen ,,Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment'' vom 10. Dezember 1984 geächtet worden sind, ebenso wie den Einsatz von A-B-C-Waffen, Tatbestände von Rassen-Diskriminierung und Genocid. Eine verantwortliche Wahrnehmung der ,,Belange der Studenten'' kann sich heute, angesichts der internationalen Verflechtung der Wissenschaften einerseits, der Gewaltpotentiale andererseits, nicht mehr darauf zurückziehen, im eigenen Land die letzten Feinheiten des personenbezogenen Datenschutzes zu kultivieren, dagegen die grausamsten Menschenrechtsverletzungen jenseits der Grenzen, wo auch immer, zu ignorieren. Ein Gesetzgeber, der die ,,Studentenschaft'' organisiert, muß dies berücksichtigen.

Der hessische Gesetzgeber hat in § 63 Abs.2 Nr.5 HHG die ,,Förderung ... des staatsbürgerlichen Verantwortungsbewußtseins der Studenten'' als eine der Aufgaben der Studentenschaft normiert. Die Stellungnahme zu elementaren Verletzungen der Menschenwürde und der Menschenrechte, sei es im Inland oder im Ausland, kann bei zweckorientierter Auslegung unter die genannte Aufgabenkategorie fallen. Ihre verfassungsrechtliche Legitimation findet sie jedoch nicht in der Gesetzesstelle, sondern in der Verteidigung der Menschenrechte als den Grundvoraussetzungen für eine freiheitliche und menschenwürdige Existenz überhaupt.

V. Möglichkeiten der Erweiterung studentischer Mitwirkung in der Hochschulselbstverwaltung.

1. Änderung der Gruppenparitäten in den Selbstverwaltungsgremien?

Es trifft sicherlich zu, daß die Bereitschaft der Studenten, sich in der Arbeit der Selbstverwaltungsgremien nachhaltig zu engagieren, generell erheblich gesunken ist. Doch erscheint es nicht als gerechtfertigt, die Ursache hierfür allein oder auch nur überwiegend in den derzeit in den Hochschulgesetzen normierten Gruppen-Verhältniszahlen zu suchen. Dies bedeutet, daß man sich von einer Erhöhung der Beteiligung der Gruppe der Studenten in den Organen der Hochschule auf zentraler und auf Fachbereichs-Ebene keine entscheidenden Impulse zur Stärkung des studentischen Engagements erhoffen darf. Über die Ursachen des Schwindens dieses Engagements liegen mir keine gesicherten empirischen Daten vor. Doch darf man annehmen, daß die Überfüllung der Hochschulen, die dadurch verschlechterten Studienbedingungen und der erhöhte Wettbewerbsdruck auf dem Arbeitsmarkt einen Teil der Ursachen ausmachen. Hinzu kommen sicherlich vielfältige Erfahrungen mit der Ressourcenknappheit, die zu Resignation und Enttäuschung führen. Dies gilt nicht nur für Studenten, sondern auch für Hochschullehrer und Mitarbeiter.

Immerhin ist darauf hinzuweisen, daß sowohl die derzeitige Gesetzeslage in Hessen als auch die Regelung des Hochschulrahmengesetzes die studentischen Mitbestimmungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten, welche das Verfassungsrecht nach der Rechtsprechung des BVerfG zuläßt, nicht voll ,,ausreizen''.

Nach den jahrelangen Erfahrungen des Verf. in der akademischen Selbstverwaltung, vor allem, aber nicht allein auf der Ebene des Fachbereichs, kann man feststellen, daß zahlreiche Studenten, die überhaupt zur Mitarbeit bereit sind, sachbezogen und nützlich an der Verwaltungsarbeit teilzunehmen in der Lage sind. Eine ,,Aufbesserung'' des studentischen Proporzes könnte wie eine gesetzliche ,,Anerkennung'' dieser Einstellung der Studenten empfunden werden und auf diese Weise das weitere Engagement stärken.

Die verfassungsrechtlich gebotenen Grenzen einer studentischen Mitbestimmung in den Gremien der Hochschule hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 29. Mai 1973 aufgezeigt.67

Das Maß einer Beteiligung von Gruppenvertretern in den Gremien muß sich an den Kriterien ,,Qualifikation, Funktion, Verantwortung und Betroffenheit''68 orientieren und ist dementsprechend je nach den Aufgaben des kollegialen Organs und der jeweiligen Entscheidungsmaterie zu differenzieren. Zu den wichtigsten Einzelgrundsätzen, welchen die Hochschulgesetzgebung Rechnung zu tragen hat, gehören: (1) Bei Entscheidungen über Fragen, welche die Forschung unmittelbar betreffen, muß der Gruppe der Hochschullehrer ein ausschlaggebender Einfluß vorbehalten bleiben. Sie müssen sich gegenüber den anderen Gruppen durchsetzen können. (2) Der gleiche Maßstab gilt für Entscheidungen in Berufungsangelegenheiten. Auch hier müssen sich die Hochschullehrer durchsetzen können; ein Mitentscheidungsrecht der Studenten ist jedoch vertretbar (S.134). (3) In Angelegenheiten der Lehre kann der Einfluß der ,,Lernenden'', der Studenten, größer bemessen sein. Den Hochschullehrern muß ein ,,maßgebender Einfluß'' möglich sein; dieser Bedingung ist genügt, wenn sie oder ihre Vertreter über die Hälfte der Stimmen in dem Gremium verfügen.( S.80, Leitsatz 8 b.) Freilich muß auch Vorsorge getroffen werden, daß Pattsituationen bei Abstimmungen überwunden werden können ( S.142 f.). Das Hochschulrahmengesetz (i.d.F. vom 9. April 1987 m.nachf. Änderungen) orientiert sich in seinem § 38 im wesentlichen an diesen Grundsätzen, geht aber in drei Punkten deutlich über das vom BVerfG geforderte Minimum des Hochschullehrer-Einflusses hinaus: 1. § 38 Abs.3 letzter Satz fordert auch für alle Gremien, die Angelegenheiten der Lehre zu entscheiden haben, die absolute Mehrheit der Professoren nach Sitzen und nach Stimmen. Damit hat der Gesetzgeber den Unterschied, den das Gericht zwischen Forschungs- und Berufungsfragen einerseits, Fragen der Lehre andererseits gemacht hat, nivelliert. 2. Das Gericht fordert den ausschlaggebenden Einfluß der Hochschullehrer in Forschungs- und Berufungsangelegenheiten nur, wenn die Forschung und das Berufungsverfahren ,,unmittelbar'' betroffen sind. Diese Eingrenzung sieht das HRG, a.a.O., nicht vor; es soll, jedenfalls für die Zusammensetzung des Gremiums, genügen, daß die betreffenden Angelegenheiten ,,berührt'' werden. 3. Das BVerfG hat im Zusammenhang mit Angriffen auf das Bremische Hochschulgesetz vom 14. 11.1977 im Jahr 1980 klargestellt, daß die Mehrheit der Stimmen nicht unbedingt auch eine Mehrheit nach Sitzen bedeuten muß.69 Die bremische Regelung, welche ein Mehrfachstimmrecht der Professoren (bei entsprechender Reduzierung der Sitzezahl) vorsah, hatte vor der Verfassung Bestand. Der Bundesgesetzgeber hat diesen Weg bei einer Novellierung des HRG jedoch verworfen und den Professoren die absolute Mehrheit der Sitze und der Stimmen eingeräumt.

In allen drei Punkten besteht somit, verfassungsrechtlich gesehen, ein gewisser Dispositionsspielraum, ohne daß damit empfohlen würde, diesen auch zu nutzen. Im Gegenteil, beispielsweise muß von der Einführung eines Professoren-Mehrfachstimmrechts im Interesse des Argumentationsreichtums einer Entscheidungsvorbereitung entschieden abgeraten werden.

Das Hessische Hochschulgesetz (HHG) und das Gesetz über die Universitäten des Landes Hessen (HUG) sind weit davon entfernt, in der Frage des Gruppenproporzes bis an den Rand des verfassungsrechtlich Zulässigen zu gehen. Zur Bestätigung genügt ein Blick auf die Zusammensetzung des Senats, der Ständigen Ausschüsse und der Fachbereichsräte. Im Senat (§ 17 HUG) begegnen die Dekane sämtlicher Fachbereiche - in Frankfurt sind dies 21! - und die Prodekane des Fachbereichs Humanmedizin sowie drei Professorenvertreter insgesamt sechs (!) Vertretern der Studenten. Der Ständige Ausschuß für Lehr- und Studienangelegenheiten (Ausschuß I)(§§ 18,19 HUG), der die Studenten unmittelbar berührende Fragen zu entscheiden hat, sieht den Präsidenten als Vorsitzenden und einen Gruppenproporz von 7 : 3 : 2 : 1. Drei Studenten sitzen elf anderen Mitgliedern gegenüber.

Der gleiche Proporz regiert die Zusammensetzung des Fachbereichsrates in ,,kleinen'' Fachbereichen mit nicht mehr als 15 besetzten Professorenstellen, in welchen alle Professoren im Rat Mitglieder sind. In größeren Fachbereichen werden auch die Professoren durch gewählte Vertreter an der Selbstverwaltung beteiligt. Hier lautet der Proporz 13 : 5 : 4 : 2. (Vgl. § 24 HUG).

Angesichts dieser Verhältniszahlen ist durchaus zu erwägen, ob nicht das Stimmengewicht der studentischen Vertreter wenigstens in Angelegenheiten, die Lehre und Studium betreffen, in maßvoller Weise verstärkt werden soll. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß jede Veränderung des Schlüsselproporzes 7:3:2:1 sofort an die rahmenrechtliche Grenze des § 38 Abs.3, letzter Satz HRG stößt, welcher den Professoren die absolute Mehrheit reserviert.

Dies könnte freilich, in engen Grenzen, auch geändert werden. Denkbar wäre auch eine Erhöhung der Studentenbeteiligung auf Kosten der wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter, jedenfalls auf Fachbereichsebene (vgl. § 38 Abs.3 Satz 1 HRG!) und in Lehr- und Studienangelegenheiten. Der gewiß sehr nützliche Sachverstand der Leiterin der Seminarbibliothek bei Fragen der Bibliotheksnutzung im Rahmen des Studiums (Haus- und Examensarbeiten) oder der Laborverwaltung kann auch durch ,,beratende Stimmen'' eingebracht werden.

Andererseits dürften die ,,politischen Kosten'' jeder wie auch immer ausfallenden Paritätenänderung unverhältnismäßig hoch sein. Hier muß noch einmal betont werden, daß nach der persönlichen Einschätzung des Verf. die durch eine solche Maßnahme zu erhoffende Steigerung der Bereitschaft der Studenten zum Engagement tatsächlich sehr bescheiden ausfallen dürfte. Es ist deshalb zu prüfen, ob sich andere Möglichkeiten - über die dargelegte Erweiterung des ,,hochschulpolitischen Mandats'' hinaus - anbieten, dem angestrebten Ziel näher zu kommen.

2. Aktivierung der Fachschaften; Überwindung des Dualismus zwischen Fachschaftsrat und Fachbereichsrat.

Nach den derzeit in Hessen geltenden Regelungen - vergl. vor allem die §§ 15, 65 HHG, 14 und 24 HUG - werden die Studenten auf mehreren Ebenen: zentral und fachbereichlich, und durch ganz unterschiedliche Organe, zu denen sie getrennt, wenn auch zeitlich koordiniert wählen, vertreten. Auf zentraler Ebene wählt der Student die Abgeordneten des Studentenparlaments und davon unabhängig die Vertreter seiner Gruppe im Konvent. Auf der Fachbereichsebene wählt er die Mitglieder des Fachschaftsrates und die studentischen Vertreter im Fachbereichsrat, die zwar personenidentisch sein können, aber nicht sein müssen und es häufig auch nicht sind. Die Kompetenzen der einzelnen Organe und erst recht ihre informationellen und kompetenziellen Verflechtungen und Überschneidungen werden dem Durchschnittsstudenten, zumal wenn er nicht gerade Jura studiert, unübersichtlich, dunkel, unverständlich und damit letztlich gleichgültig bleiben.

Das Gesetz ist in dieser Hinsicht noch einigermaßen ergiebig, soweit es sich um die Kompetenzen der Selbstverwaltungsorgane der Hochschule handelt, an welchen auch Studentenvertreter mit Stimmrecht teilnehmen, also des Konvents und, für die tägliche Arbeit besonders wichtig, des Fachbereichsrates. Das Gesetz - vergl. §§ 64 bis 69 HHG - erweist sich aber als höchst ,,einsilbig'', wo es um die Beschreibung der Kompetenzen des Studentenparlaments und der Fachschaftsräte geht. Besonders diese letzteren werden stiefmütterlich behandelt. In diesem Bereich wird im wesentlichen auf die zu erlassende Satzung der Studentenschaft verwiesen - vergl. § 66 Abs.4 HHG. Grundsätzlich ist es zu begrüßen, daß der Gesetzgeber hier mit der Autonomie der Studentenschaft Ernst macht. Doch hat dies in der Realität dazu geführt, daß die Fachschaften und ihre Organe, die Fachschaftsräte, normativ, vielfach aber auch tatsächlich, ein Kümmerdasein fristen. Das HHG (§ 64 Abs.2) hat nicht mehr als eine nichtssagende Sollvorschrift für die Fachschaften übrig: Sie ,,sollen zur Förderung aller Studienangelegenheiten beitragen''. Das Satzungsrecht, soweit es überhaupt rechtsgültig existiert, wiederholt, geht man einmal vom Frankfurter Beispiel aus70, diese ebenso allgemein wie schwammig gehaltene Aufforderung und ergänzt sie um den Zusatz, daß sie (die Fachschaften) ,,in ihrem Bereich die hochschulpolitischen Interessen ihrer Mitglieder wahrnehmen'' sollen. Das spiegelt einen ,,universellen Wirkungskreis'' für die Fachbereichsebene vor; in Wahrheit ist es eher Ausdruck normativer Hilflosigkeit. Während zwischen Studentenparlament einerseits und Fachbereichsrat andererseits eine klar einsehbare und sinnvolle Aufgabenverschiedenheit besteht, die unterschiedliche Wahlen und getrennte Vertretungen rechtfertigt, bewegen sich die Fachschaftsräte in einer unklaren Zwischenzone: auf der einen Seite sind sie das hochschulpolitische Organ der Studenten (eines Fachbereichs) und können auf diese Weise mit der gesamtuniversitären studentischen Hochschulpolitik in Konkurrenz und Konflikt geraten (Konvent und Studentenparlament), auf der anderen Seite sollen sie mit der ,,Förderung der Studienangelegenheiten'' die mehr verwaltungsorientierte Arbeit der Studenten-Vertreter im Fachbereichsrat unterstützen. In deren gesetzlich klar definierte Aufgabenwahrnehmung, und das gleiche gilt für die studentische Mitverwaltung in den Fachbereichsausschüssen und den Berufungskommissionen, dürfen sie sich aber nicht formell einmischen. Es liegt auf der Hand, daß hier Konfliktherde einprogrammiert sind, mindestens aber Reibungsflächen und Energie-Verschleißzonen.

Eine gesetzliche oder satzungsmäßige Neuorganisation, welche die studentische Mitarbeit transparent, effizient und damit für die Studenten selbst attraktiv gestalten will, muß hier ansetzen.

Eine gewisse Konzentration der Kräfte könnte dadurch erzielt werden, daß zwischen Fachschaftsvertretern und Fachbereichsvertretern institutionell eine weitgehende personelle Identität herbeigeführt wird. In großen Fachbereichen mit - jetzt - neun Fachschaftsvertretern würden dann die fünf, die die höchsten Stimmenzahlen erhielten, zugleich Vertreter der Studenten im Fachbereichsrat sein usw.

Auf diese Weise könnte auch ein weiteres Problem entschärft werden, das erfahrungsgemäß Ursache zahlreicher ,,Verstimmungen'' zwischen Professoren und Studenten eines Fachbereichs ist. Gemeint ist hier der frühzeitige und möglichst umfassende Informations- und Meinungsaustausch zwischen Dekan, Hochschullehrern und Studenten. (Die wissenschaftlichen Mitarbeiter können hier einmal außer Betracht bleiben). Oft reagieren Studenten auf bestimmte Maßnahmen oder auch nur Absichtserklärungen oder gar bloße Meinungsäußerungen, die sich im Dekanat ereignet haben, nur deshalb übersensibel, mißtrauisch und abwehrend, weil sie nicht, nicht rechtzeitig oder verstümmelt informiert worden sind. Die gegenwärtige Aufgaben- und Rollenverteilung zwischen Fachbereichsvertretern und Fachschaftsvertretern tut ein übriges, um den korrekten Informationsfluß in der studentischen Sphäre zu gefährden.

Hier bietet es sich an, die Fachschaftsvertretung (den Fachschaftsrat) mit einer (kollegialen) Spitze auszurüsten, die in die Lage versetzt wird, mit dem Dekan und dem Dekanat ständigen, unkomplizierten und möglichst umfassenden Informationsaustausch zu pflegen. Dabei empfiehlt es sich nicht, nur einen einzigen Studenten mit dieser Aufgabe zu betrauen und zu belasten, der mit ihr leicht überfordert sein könnte, oder dessen Handlungen, aus der Sicht der Studenten gesehen, leicht außer Kontrolle geraten könnten. Andererseits wäre ein dreiköpfiges Fachschafts-Sprechergremium schon zu aufwendig und zu schwerfällig, um diese Funktion einer permanenten und elastischen Informationsbrücke zu übernehmen. Deshalb liegt es nahe, an der Spitze der Fachschaft zwei gleichberechtigte Sprecher vorzusehen, die einander vertreten können. Sie könnten wöchentlich einmal mit dem Dekan zum aktuellen Informationsaustausch zusammenkommen und wären gehalten, darüber jeweils im Fachschaftsrat und natürlich auch auf den periodisch einzuberufenden Fachschafts-Vollversammlungen zu berichten. Umgekehrt könnten sie deren Impulse und Wünsche unkompliziert dem Dekan übermitteln.

Eine derartige Umstrukturierung von Fachschaftsvertretung und Fachbereichsvertretung der Studenten würde deren Kräfte bündeln und klare Verantwortungslinien aufzeigen.

Schließlich ist daran zu denken, die Beziehungen und den Austausch zwischen den Fachschaften und der zentralen Studentenschaftsvertretung, dem Studentenparlament, zu intensivieren.

Dies könnte in der Weise geschehen, daß ein, höchstens zwei Vertreter aus jeder Fachschaft - die nicht mit den Fachschaftssprechern personengleich sein sollten - gemeinsam einen Zentralen Fachschaftsrat bilden, der für sich oder auch gemeinsam mit dem Studentenparlament beraten und beschließen könnte. Eine gemeinsame Beratung dieser beiden ,,Kammern'' der Studentenschaft, der zentralen und der fachbereichsbezogenen, sollte für besonders wichtige Fragen vorbehalten bleiben. Eine solche Verbindung der fachbereichsbezogenen Organe mit dem hochschulpolitischen Zentralorgan könnte für beide Seiten nützlich sein: diesem würden die konkreten fachspezifischen Bedürfnisse besser als bisher vermittelt, jene würden den Blick für übergreifende studentische Interessen offenhalten. Für alle Probleme der gesamtuniversitären Haushalts- und Entwicklungsplanung, für Fragen der Zulassung zum Studium und vieles andere könnte auf diese Weise ein Forum geschaffen werden, das ein Maximum an studentischer Interessenartikulation mit Sachverstand verknüpft und dessen Beschlüsse und Erklärungen deshalb inner- und außeruniversitär ein besonderes Gewicht gewinnen können.

VI. Ergebnisse (in Thesenform)

A. Zum ,,politischen Mandat'' der Studentenschaft

1. Es ist verfassungsrechtlich zulässig, die Studenten einer Hochschule durch Gesetz in einer Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Pflichtmitgliedschaft zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben (,,Studentenschaft'') zu organisieren.

2. Die Frage nach der Legitimationsgrundlage für das Tätigwerden der Organe einer solchen ,,Pflichtkörperschaft'' läßt sich weder durch eine einseitige Betrachtung als ,,mittelbare Staatsverwaltung'' noch durch eine ebenfalls einseitige Qualifikation als ,,kollektive Grundrechtsausübung'' ausreichend beantworten.

3. Vielmehr werden die Organe der ,,Studentenschaft'' bei der gesetzlichen Aufgabenwahrnehmung einerseits hoheitlich tätig. Andererseits ist diese Tätigkeit grundrechtlich fundiert und um des Schutzes eines grundrechtlich gesicherten Lebensbereiches willen (Ausbildungsfreiheit durch Teilnahme am hochschulisch organisierten Wissenschaftsprozeß, Art. 12 Abs.1, und 5 Abs.3 GG) eingerichtet. Diese Orientierung muß sich bei der Auslegung der übertragenen Kompetenzen auswirken.

4. Innerhalb des gesetzlichen Rahmens kann sich die Studentenschaft auch auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit, Art.5 Abs.1 GG berufen.

5. Differenzen zwischen Verbandsorgan-Äußerungen und Mitglieds-Äußerungen bzw. -Meinungen sind nicht als Grundrechtskollisionen zu qualifizieren. Die ,,negative Meinungsfreiheit'' gibt zwar ein Recht, selbst eine Meinung nicht zu äußern, die man nicht äußern will, nicht aber ein Recht darauf, daß ein anderer eine (seine) Meinung nicht äußere. Äußert ein Organ der Studentenschaft Meinungen derselben außerhalb seines Befugniskreises, so kann darin eine Verletzung des Grundrechtes aus Art. 2 Abs.1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) eines Mitgliedes liegen.

6. Eine ,,absolute'' Grenze für die Ausübung des ,,politischen Mandates'' der Studentenschaft ergibt sich aus dem Demokratieprinzip: Zwischen Studenten und Studentenschaft kann kein Verhältnis der allgemeinen politischen Repräsentation begründet werden.

7. Die Repräsentationsbeziehung zwischen Studenten und Körperschaft muß nach ,,demokratischen Grundsätzen'' ausgestaltet werden. Im übrigen ist die Studentenschaft weder zur ,,Ausgewogenheit'' oder ,,Neutralität'' noch zum (Meinungs)Pluralismus verpflichtet.

8. Die ,,Belange der Studenten'', welche die Studentenschaft wahrnehmen soll, lassen sich nach drei Rahmenschwerpunkten gliedern:

  1. Wissenschaft und Hochschule,
  2. Ausbildung, soziale Sicherung und Berufschancen,
  3. Grundlagen der freiheitlichen Verfassung, Wahrung der Menschenrechte.

9. Auch Stellungnahmen zu Sachverhalten mit Auslandsbezug oder rein ausländische Sachverhalte fallen in den Aufgabenkreis der Studentenschaft, wenn entweder die Verletzung der Wissenschaftsfreiheit oder aber die Verletzung elementarer Menschenrechte thematisiert werden soll.

B. Sonstige Möglichkeiten der Erweiterung studentischer Mitwirkung.

10. Weder im Hochschulrahmengesetz noch in den Hessischen Hochschulgesetzen (HHG und HUG) gehen die den Studenten eingeräumten Proporzzahlen für die Selbstverwaltungsgremien bis an den Rand des verfassungsrechtlich Zulässigen. Dennoch kann eine Änderung der Proporze zum Zweck der Steigerung des studentischen Engagements nicht als vordringlich empfohlen werden.

11. Zweckmäßiger erscheinen hingegen eine Bündelung der studentischen Kräfte, eine höhere Transparenz bezüglich ihrer Mitwirkungsbefugnisse, eine Verbesserung des Informationsflusses und eine klarere Verantwortungszuordnung.

12. Zu diesen Zwecken ist eine Neuordnung des Verhältnisses von Fachschaft und Fachschaftsrat zu den Vertretungen im Fachbereichsrat zu empfehlen. Zwei an die Fachschaft ,,rückgekoppelte'' Fachschaftssprecher sollen ständigen Kontakt mit dem Dekan und dessen Mitarbeitern halten. Vertreter jeder Fachschaft bilden gemeinsam einen ,,Zentralen Fachschaftsrat'', der ein Gegengewicht und eine Ergänzung zum Studentenparlament darstellt und mit diesem zusammen ein einflußreiches studentisches Beratungs- und Beschlußorgan auf der Ebene der Gesamtuniversität hervorbringen kann.

Erhard Denninger

Königstein, im Oktober 1993


Fußnoten

1
und einer Besonderheit in Schleswig-Holstein, vgl. die Nachweise für die damalige Rechtslage bei Becker in Denninger, HRG, § 41 Rdn.5. [<--]
2
Vgl.§ 81 Brandenburgisches Hochschulgesetz vom 24. Juni 1991; § 77 HochschulerneuerungsG des Landes Mecklenburg-Vorpommern, GVBl.1992,S.158 ff.; § 103 Sächsisches HochschulerneuerungsG vom 25. Juli 1991; § 85 HochschulerneuerungsG des Landes Sachsen-Anhalt vom 31. Juli 1991; § 73 Thüringer Hochschulgesetz vom 7. Juli 1992. [<--]
3
Vgl.VGH Kassel, Urteile vom 21.2.1991, NVwZ-RR 1991,636 und 639. [<--]
4
Vgl. BVerwGE 59, 231, 236,239; nach E 34, 69; zuletzt BVerwGE 64,298, 303, zur insoweit parallelen Problematik der Ärztekammern. Für Hessen: VGH Kassel, HessVGRspr. 1978, 57,58: ,,Das Begriffspaar 'hochschulbezogene Erklärungen' und 'allgemein-politische Erklärungen' läßt sich hinreichend unterscheiden''. Im gleichen Sinne die beiden Urteile des HessVGH vom 21.2.1991, NVwZ-RR 1991,636,639, mit ausführlichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. [<--]
5
Hier und im Folgenden bedeutet ,,Studenten'' selbstverständlich männliche und weibliche gleichermaßen. Entsprechendes gilt, wenn von ,,Professoren'', ,,Hochschullehrern'' usw. die Rede ist. [<--]
6
H.H.Rupp, Die Stellung der Studenten in der Universität, VVDStRL Heft 27, 1969, S.113 ff.,136. [<--]
7
VG Sigmaringen, DVBl.1977, 465 = NJW 1975, 1912. [<--] leider fehlen die restlichen Fussnoten in der Online-Version. Sorry.