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"Sturm für die Uni"

Hochschul- und Studienreform von unten, entstanden an der FU Berlin. Eine Zusammenfassung

Von den Berliner HochschullehrerInnen Bauer, Bennholdt-Thomsen, Grottian, Kotschi, Lämmert, Lochmann, Narr und Wesel. Januar 1993

Situationsbeschreibung

Der gegenwärtige Zustand ist eine Mischung aus alten Formen, blockierten Reformen, einer verstärkten Ökonomisierung im Sinne einer Ausrichtumg auf die Bedürfnisse des "Standorts" Deutschland und eines treibhausartigen, institutionell und konzeptionell nie begriffenen Wachstums der Zahl der Studis.

Mängel der Reformdebatte

"Die universitätspolitischen Debatten setzen mit gutem Grund an der unhandhabbar gewordenen Größe an. Darum wird immer noch die im Prinzip verfassungswidrige Einrichtung des NC geduldet, ja z.T. noch ausgeweitet. Dennoch leiden die meisten Vorschläge an erheblichen Mängeln:

Reformansätze - allgemein

  1. Studiengänge sind so zu konzipieren, daß die Studis am Ende ihrer Unizeit über eine eigene, mit fachlichem Schwerpunkt versehene Urteilskraft verfügen.

  2. Die Uni muß anders oranisiert werden: Verwaltungen müssen verkleinert werden; Globaletat für die Uni; demokratische Unispitze. Die hauptsächlichen Entscheidungen sollen die Fachbereiche treffen, alle Gremien demokratisch gewählt werden. Paritäten sind ohne vorrangige Bedeutung, aber die absolulte Professorenmehrheit kann nicht akzeptiert werden.

  3. Neue Lehr-/Lernformen: Förderung studentischer Projekte; thematische Konzentration über mehrere Semester; mehrere DozentInnen leiten eine Veranstaltung (Team-teaching); Tutorien sollen Zusammenarbeit in kleinen Gruppen ermöglichen; Studis bewerten Veranstaltungen.

  4. Alle Studiengänge sollen mehr interdisziplinäre Elemente erhalten. Einrichtung eines Graduiertenstudiums, das den Prozeß des Promovierens fördert. Die Erfolgsrate könnte so gesteigert, die Arbeitsdauer verkürzt werden.

  5. Die Zahl der Lehrenden ist der gestiegenen Nachfrage der Studierenden anzupassen. Damit würde sich das "Problem" überlanger Studienzeiten mindern.

  6. Die Forschung muß neu organisiert werden. Lehr/Lernplan und Forschung sind auf ihre Kompatibilität zu überprüfen. Spätestens im Hauptstudium sollte forschendes Lernen geübt werden. Forschung an den Fachbereichen ist zu koordinieren, interdisziplinäre Forschungscolloquien sind einzurichten.

Sofort nötige und mögliche Schritte

  1. Über Geld, Stellen und Räume zu reden ist wichtig. Allerdings muß die Auseinandersetzung vor allem der Frage gelten, wieviel dieser Gesellschaft welche Art von Bildung für wen wert ist. Die teilweise massiven und schematischen Kürzungen sind nicht akzeptabel.

    Evaluation der Fachbereiche und der Gesamtorganisation mit möglichst expliziten Kriterien. Fachbereiche als Diskussions- und Mitentscheidungsorgane. Voraussetzung dafür, daß solche Selbstevaluierungsverfahren funktionieren, sind durchsichtige Verfahren und das Absehen von allen pauschalen Kürzungen. Vernünftige Lehre und Forschung dürfen nicht durch einen blinden Stellenstopp blockiert werden. Kürzungen in Bibliothekshaushalten und Öffnungszeiten sind fatal. Ausfallende Aufsichtszeiten könnten durch studentische Mitarbeit ausgeglichen werden. Es ist zu überprüfen, ob nicht mehr Mittel aus Forschungsinstituten in die Lehre fließen müßten.

  2. Erheblich mehr Tuorien (800 für die FU Berlin). Sie wären am ehesten finanzierbar und würden die - vor allem im Grundstudium - bedrückende Lernsituation verbessern. Hilfskraftmittel müssen vorrangig der Lehre, nicht der Forschung zugutekommen. Dreiprozentige Abgabe der Profs für Tutorien.

  3. Lehrevaluierung durch Studis und Mentorensystem. Um die schmale, punktuelle Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden zu verbreitern, sollen Hochschullehrer jeweils für eine Gruppe von 6-10 Studierenden als Mentor fungieren.

  4. Projekttutorien als autonome studentische Arbeitsform. Projekttutorien haben sich alles in allem ausgesprochen bewährt, sie belegen, wie sehr es sich lohnt, TutorInnen Lehraufgaben weitgehend selbstständig zu überlassen und das "Lernen ohne Prof" als Element des Studiums auszubauen.

  5. Das Projektstudium und Blockkurse sollen zur Regel werden. Ebenso der Versuch, die isoliert punktuelle Lehr/Lernform durch problemorientiertes kooperatives Lehren/Lernen zu überwinden.

  6. Die Wohn-, Lebens- und Kommunikationssituation verbessern - Die Thesen hierzu sind speziell auf Berlin ausgerichtet. Trotzdem wäre dieser Punkt einer allgemeinen Diskussion würdig.

  7. Examensgehalt als mittelfristige Perspektive. Wenn der Gesellschaft an möglichst gut ausgebildeten Hochschulabsolventen liegt, dann muß ihr ein Studi so viel wert sein wie andere Azubis. Deshalb ist ein 8-12 monatiges Examensgehalt von jeweils 1000 DM zu fordern. Die schon bestehenden Darlehensmöglichkeiten sollen damit verbunden werden. Das würde kostengünstig dafür sorgen, daß sich die Studienzeiten drastisch verkürzten. Nur mit einem solch positiven Anreiz, in der "Regelstudienzeit und maximal 4 Semestern" ein Examen mit Examensgehalt machen zu können, ließen sich Studiengebühren und Rausschmisse für "ewige Studenten" rechtfertigen.

  8. Neue Kommunikationsversuche mit Langzeitstudis. Einige Fachbereiche versuchen, mit Langzeitstudis zu reden. Erste Ergebnisse zeigen, daß die direkte Ansprache den Prozeß begünstigen kann, sich zur Examensanmeldung zu entscheiden. Eine tragfähige Umgangsform ist zu entwickeln.

  9. Mittelbau bewahren und Teillzeitprofessuren mit Aufstockungsgarantie schaffen. Die Ausweitung der Stellen für den wissenschaftlichen Nachwuchs muß angestrebt werden. Da die Erfahrungen mit "Professoren auf Zeit" und "Hochschuldozenten" nicht grundsätzlich für Hochschuldozenturen sprechen, wird vorgeschlagen, einen beträchtlichen Anteil der zu besetzenden Stellen als "Teilzeithochschullehrer im Beamtenverhältnis" (C3) auszuschreiben und vertraglich vorzusehen, diese Stellen in 4 bis 5 Jahren zu Voll-Professuren aufzustocken. Das hielte junge WissenschaftlerInnen an der Uni, weil ihnen eine akzeptable Perspektive geboten würde.

  10. Interdisziplinäre Institutionalisierung eines Frauenforschungszentrums an der FU mit Zuordnung von Hochschullehrerinnen. Seit 1981 eine Zentraleinrichtung (ZE) zu Förderung von Frauenstudien und -forschung. Die Alternative zu dieser ZE wäre ein Forschungsinstitut, wie es 1978 und 86 diskutiert wurde. Dagegen sind immer wieder die Argumente: Ghettoisierung, Akademisierung und Marginalisierung geltend gemacht worden. Andererseits leiden Ansehen und Wirkungsmöglichkeit daran, daß durch die endgültige Etablierung der ZE Ansprüche auf eigene Forschungs- und Lehrkapazität verhindert wurden.


bay, 14.1.2001, URL www.michael-bayer.de