Die geballte Ablieferung von Papieren zeigt: Die Zeit drängt, denn Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers hat mit seinen drei Kolleginnen und Kollegen aus Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Bayern ein Verfahren vereinbart, das den ordentichen parlamentarischen Gang ausschaltet. Weder das Parlament noch die Öffentlichkeit erfaährt, wie sich der Bundesbildungsminister die vielbeschworene Änderung des Hochschulrahmengesetzes (HRG) im Detail vorstellt, nachdem bisher aus seinem Haus nur ,,Arbeitspapiere'' gestreut wurden. Mit drei Länderministern schloß Rüttgers ein besonderes ,,Bündnis für (Zusammen-)Arbeit'': Binnen vier Wochen sollen die Staatssekretäre einen Gesetzentwurf für eine HRG-Novelle vorbereiten, die die Minister noch vor der Sommmerpase endgültig abstimmen und anschließend durch Bundestag und Bundesrat schleusen wollen.
Der Zeitplan, noch vor der Bundestagswahl das neue Kapitel HRG abzuschließen, könnte eingehalten werden, denn den Papierbergen zum Trotz: Die Neigung zu einer großen Reform, zum Ausbruch aus der Provinz und zur Öffnung nach Europa besteht nicht. Das Verhältnis zwischen Fachhochschule und Universität bleibt ungeklärt, der Status der Professoren unangetastet wie die deutschen Abschlüsse von Staatsexamen und Diplom, die europaweit nicht kompatibel sind.
Transparenz und Öffentlichkeit, demokratische Meinungsbildungsprozesse in den Universitäten gar, sind nicht vorgesehen. Allerdings fehlen dafür an den Hochschulen Interesse und Interssengruppen. Die politischen Studentenverbände sind zu schwach, um sich Gehör zu verschafen. Eine Organisation wie die Bundesassistentenkonferenz, der schon aus beruflichen Gründen an der Institution Unversität lag, überführte sich in den 70er Jahren in die Gewerkschaften ÖTV und GEW, doch Stärke erwuchs daraus nicht. Den damaligen Akt haben die Gewerkschaften nie als Chance zur intellektuellen Bereicherung und als tarifpolitische Herausforderung auf dem Arbeitsmarkt Wissenschaft empfunden.
So ist schon jetzt klar: Das Hochschulrahmengesetz, an dem seit 25 Jahren immer wieder gefeilt, geändert, hinzugefügt wurde, hat ausgedient: Es fällt nichts mehr aus dem Rahmen. Zwischen Zwickau und Bremen bewegt sich nichts, was den Stand der Professoren bedroht und worin der ,,Bund Freiheit der Wissenschaft'' den ,,Untergang des Abendlandes'' erspähen könnte. Einst verdächtige ,,Kaderschmieden'', die per HRG eingerahmt werden mußten, sind (in Ost und West) geschleift. Selbst linke Hochschullehrer sind in der Zunft salonfähig geworden, übertreffen sich im Einwerben von Drittmitteln und im professoralen Corpsgeist. Der Reformwille ist erlahmt, die ,,alten'' Reformer in den Gremien der Universitäten werden Zug um Zug pensioniert, Nachfolger in ihren Gruppen fehlen.
Für ein neues Rahmengesetz reicht heute ein ,,HRG light'', in dem mit blumigen Worten Gestaltung und Freiräume, Wettbewerb und Profil, internationale Abschlüsse und straffe Studiengänge beschworen werden. Ob in dem hochschulpolitischen Rahmen von Bonn noch irgendein klares Bild erkennbar sein wird, ist angesichts der Entwicklungen in den Bundesländern zu bezweifeln. Jeder betreibt dort Regulierung und Deregulierung nach seinem eigenen Gutdünken. Die zentrale Frage in Bayern wie in Hessen ist dabei, wie weit die Gesetzgebung vor 1968 zurückgeht und an wen gedacht ist, wenn von mehr Autonomie und Freiräuen geredet wird.
So testen die Bayern noch, wie eng sie das Dienstleistungsunternehmen Universität an die Wirtschaft anbinden können. Die Hessen sind auf ihre Art schon vorn: Die Wissenschaftsministerin schickte in den Semesterferien ihren Gesetzentwurf ab, der einen Richtungswechsel vollzieht. Das Land, aus dem vor 30 Jahren wichtige Anstöße zu einer demokratischen Hochschulreform kamen, stärkt in atemberaubender Direktheit die Herrschaft von Präsident und Senat. Über Wohl und Wehe der akademischen Großunternehmen mit 30000 bis 50000 Menschen sollen ein Präsident und weitere 16 Senatsmitglieder entscheiden, wobei die absolute Mehrheit bei den Professoren liegt und die drei Studenten deren Herrschaftswissen hoffnungslos unterlegen sind. An den 17 Männern und Frauen (?) vorbei läuft nichts, und die starke Figur ist letztlich ein einziger, der Präsident. An ihm hängen Kontinuität, Profil und Klima. Das ist das vorläufig abenteuerliche Ende einer langen Reise durch die Hochschulpolitik, die mit der Studentenbewegung vor 30 Jahren begann.