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FAZ-Leitartikel: Teures Studium


Von Kurt Reumann

Das Studium werde teuer, verkünden die Schlagzeilen; in einer Zeitungsüberschrift hieß es sogar, es werde sauteuer. Aber war es das nicht schon immer? Fragt sich nur, wer die Kosten trägt: der Staat oder die Studenten und deren Eltern. Über die Kosten regt man sich erst auf, seitdem zur Diskussion steht, ob die Nutznießer sich daran nicht stärker beteiligen sollten.

Die Schlagwörter "Studiengebühren" und "Bafög" signalisieren, daß es dabei um zwei verschiedene Kostenarten geht: die für die akademische Ausbildung (Studienangebotskosten) und die für das tägliche Brot (Lebenshaltungskosten). Bislang hat der Staat, nämlich der Bund und vor allem die Länder, das Studienangebot allein finanziert. Im Durchschnitt sind das bei sechs Studienjahren 120000 Mark pro Student. Aber die Kosten schwanken von Studiengang zu Studiengang. "Billig" sind zum Beispiel die Rechts- und Wirtschaftswissenschaften (40000 Mark), "teuer" ist die Medizin (260000 Mark).

Seit jeher fordert der Bund Freiheit der Wissenschaft, die Studenten sollten sich an den Kosten für ihre Ausbildung beteiligen. Aber erst seit der hochschulpolitische Sprecher der SPD, Glotz, und einige Landeskonferenzen der Hochschulrektoren laut darüber nachdenken, werden diese Vorschläge ernst genommen. Gedacht wird an eine Studiengebühr von 1000 Mark je Semester. Der Vorschlag des Bunds Freiheit der Wissenschaft hält sich allerdings an Voraussetzungen, die nicht erfüllt sind: die klare Auskunft darüber, welche Fachbereiche an welchen Hochschulen gut und welche nicht so gut sind (zum Beispiel Ranglisten wie in den Vereinigten Staaten); ferner die Freiheit der Hochschulen, sich ihre Studenten selbst auszuwählen, wobei die renommierten Hochschulen höhere Gebühren erheben können; schließlich eine großzügige Förderung der Begabten durch Stipendien.

Auf diese Weise kämen die besten Studenten an die besten Fachbereiche; die guten Universitäten oder Fachbereiche würden immer besser, die nicht so guten wenigstens teilweise schlechter. Die guten Fachbereiche könnten so ihre internationale Konkurrenzfähigkeit in Forschung und Lehre verteidigen oder verbessern; die schlechteren müßten sich auf die Lehre konzentrieren. Wer nicht bereit ist, den Hochschulen bei steigender Studentenzahl mehr Geld zu geben, wird um diese oder eine ähnliche Lösung langfristig kaum herumkommen.

Zukunftsminister Rüttgers hat das heiße Eisen Studiengebühren scheinbar nicht angefaßt. Vielmehr will er durchsetzen, daß auch bedürftige Studenten sich stärker an ihren Lebenshaltungskosten beteiligen. Bislang besteht die Bafög-Förderung zur Hälfte aus einem nicht zurückzuzahlenden Stipendium und zur anderen Hälfte aus einem nicht verzinslichen Darlehen. Nach dem Rüttgers-Plan soll der Darlehensanteil künftig verzinst werden; die Darlehen soll die Deutsche Ausgleichsbank vergeben. Auf diese Weise würde Rüttgers seinen Haushalt entlasten. Das eingesparte Geld will er in die Hochschulen investieren. Indirekt bäte er damit die Studenten für den Hochschulausbau zur Kasse.

Daß Betroffene davon nicht begeistert sind, ist verständlich: Jemand, der den Bafög-Höchstsatz bezogen hat, müßte nach seinem Studium statt bisher knapp 35000 Mark ungefähr das Doppelte zurückzahlen. Die Klagen darüber, daß hohe Rückzahlungsraten (monatlich bis zu 300 Mark) für Berufsanfänger eine starke Belastung wären, verbinden sich mit einem grundsätzlichen Gegenargument: Um eine Reform handelt es sich bei dem Rüttgers-Plan nicht. Aber es gibt auch Plädoyers für eine radikale Neuordnung: die Bündelung aller staatlichen Hilfen für in der Ausbildung stehende "Kinder" zu einer Art Studentengehalt. Bislang setzt sich die Förderung aus zwei direkten Leistungen - Bafög, Kindergeld - und einer indirekten zusammen: Steuerermäßigungen. Der Staat gibt also, alles in allem, erheblich mehr, als in den Bafög-Statistiken ausgewiesen wird.

Schon Möllemann hatte während seiner Zeit als Bildungsminister erwogen, die drei Leistungen nach niederländischem Vorbild zu einer Summe zusammenzufassen. Das liefe auf einen Sockelbetrag für jeden Studenten und auf Zuschläge für verschiedene Gruppen hinaus. Diese Zuschläge könnten sich nach der Bedürftigkeit richten, aber auch nach der Studienleistung. Die Gegenvorschläge zum Rüttgers-Plan sind nur Varianten des Möllemann-Vorschlags. Sie unterscheiden sich nach der Höhe des Sockelbetrags (Studentenwerk: 400, SPD: 500 Mark, allerdings nicht für jeden, Teile der Grünen: 1000 Mark) und nach den Vorstellungen, wie das zu finanzieren sei. Das Studentenwerk unterstellt kühn, seine Anregung sei für den Staat kostenneutral.

Bei einer Verwirklichung des Möllemann- Modells müßten CDU und CSU über ihren Schatten springen. Wegen ihrer hohen Wertschätzung der Familie haben sie bislang darauf gepocht, daß die Förderung familienabhängig sein müße. Dagegen würde ein Studentengehalt elternunabhängig gezahlt werden. Aber nicht nur die Union müßte nachgeben. Es kann die SPD nicht kaltlassen, daß die Bedürftigsten nur noch den Bafög-Höchstsatz erhielten, aber nicht mehr zusätzlich das Kindergeld. Der FDP würden es die "Besserverdienenden" verübeln, daß die für sie vorteilhaften Steuerfreibeträge entfielen. Selbst die Grünen würden mit ihrer Rückzahlungsempfehlung bei ihrer Klientel auf Widerstand stoßen: maximal vier Prozent des Gehalts der Hochschulabsolventen, und das ein Leben lang.

Bliebe nur die Werbewirkung einer gebündelten Leistung? Nein. Profitieren würden diejenigen, die jetzt ins "Mittelstandsloch" fallen. Aber wer denkt an diese Mehrheit? Es würde nicht überraschen, wenn nach der gerade erst einsetzenden Bafög-Schlacht die alte Regelung überlebte: Viel Pulverdampf, wenig Wirkung.


Quellennachweis: FAZ, 18.09.1995, S. 1
bay, 15.3.1999, URL www.michael-bayer.de