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Dorothee Wilms: Langfristige Konzeption für das Hochschulwesen

Quelle: Wilms, Dorothee, 1983: Langfristige Konzeption für das Hochschulwesen [Rede der Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft vor der Plenartagung der Westdeutschen Rektorenkonferenz], in: Bundesregierung, Presse- und Informationsamt (Hg.): Bulletin, Nr. 121, S. 1103 – 1107.


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Alle diese Fragen führen uns zu der erneut aufgelebten Diskussion über die Struktur der Studienangebote. Der Wissenschaftsrat hat schon Im Jahr 1978 in seinen damaligen Empfehlungen sogenannte Kurzstudiengänge an den wissenschaftlichen Hochschulen vorgeschlagen. Er suchte damit eine Antwort auf die Frage, wie ein Hochschulsystem inhaltlich strukturiert sein muß, das nicht mehr nur etwa 10 Prozent eines Altersjahrganges auszubilden hat und das dementsprechend in seinen Studiengängen nicht nur die berufliche Tätigkeit in den klassischen akademischen Berufen zum Ziele haben kann. Die Strukturierung unseres Studienangebotes hat mit der quantitativen Expansion zweifellos nicht Schritt gehalten, und gemessen an der Struktur der Berufswelt müssen wir auf mittlere Sicht ein spürbares Ungleichgewicht besonders im zahlenmäßigen Verhältnis der Absolventen der wissenschaftlichen Hochschulen zu den entsprechenden Angeboten des Arbeitsmarktes befürchten.

Nach den bisherigen Erfahrungen habe ich aber Zweifel, ob die wissenschaftlichen Hochschulen ihr Studienangebot in absehbarer Zeit ganz neu strukturieren können. Denn sie haben zwei andere wichtige Aufgaben noch vor sich: die Begrenzung der Dauer der jetzt angebotenen Studiengänge und die Entwicklung eines systematischen Postgraduiertenstudiums. Ich frage mich auch, ob Kurzstudiengänge, wie sie vorgeschlagen wurden, ihre Absolventen zu anerkannten Berufsabschlüssen führen können, die vom Arbeitsmarkt honoriert und abgenommen werden. Auch frage ich kritisch, ob die vorgeschlagenen neuen dreijährigen Studiengänge an wissenschaftlichen Kochschulen die bisher nahezu unbestrittene Reputation der Fachhochschulen gefährden und unnötige Spannungen in das Verhältnis von wissenschaftlichen Hochschulen und Fachhochschulen bringen könnten.

Ich neige daher dazu, daß den wissenschaftlichen Hochschulen nochmals und noch deutlicher die Aufgabe zugewiesen wird, die jetzt bestehenden Studienangebote inhaltlich und organisatorisch so zu gestalten, daß sie normalerweise in vier Jahren zum Abschluß führen – einige Studiengänge ausgenommen. Hier befinde ich mich in voller Übereinstimmung mit Ihrem Präsidenten.

Auf diesem vierjährigen Studium sollte ein Postgraduiertenstudium für den wissenschaftlichen Nachwuchs aufbauen.

Wo neue Studiengänge angesiedelt werden sollen, die ich auf Grund wissenschaftsimmanenter oder beruflicher Entwicklungen anbieten, sollte von deren Ziel und Inhalt abhängig gemacht werden. Stark praxisbezogene und küzere Studiengänge sollten an den Fachhochschulen entwickelt werden, stärker wissenschaftsbezogene an den wissenschaftlichen Hochschulen. Auch aus diesem Grunde müssen wir im Rahmen der Gesamtkapazität des Hochschulsystems Flexibilität walten lassen und dürfen uns nicht vor der Aufgabe scheuen, gelegentlich einmal Kapazitäten auszutauschen.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang zu dem Verhältnis von wissenschaftlichen Hochschulen und Fachhochschulen Stellung nehmen. Die Weiterentwicklung unseres Hochschulsystems erfordert nach meiner Überzeugung die Anerkennung der eigenständigen Aufgaben und der eigenständigen Leistungen der Fachhochschulen in einer Weise, die sie nicht als Minus, sondern als Aliud gegenüber dem Auftrag der wissenschaftlichen Hochschulen ausweist. Ich werde mich daher dafür einsetzen, daß die im Prinzip einheitliche Rechtsordnung für das Hochschulsystem gewahrt bleibt. Dies schließt nicht aus, hierbei Besonderheiten der Fachhochschulen zu berücksichtigen – nur beispielsweise sei auf die Problematik des Hausberufungsverbotes für die Fachhochschulen hingewiesen. Die Hochschulpolitik muß aber auf dem Prinzip der Gleichwertigkeit beider Institutionen beruhen.

Noch einmal zurück zur Frage der Gestaltung der Studiengänge und zu dem speziellen Vorschlag, vor dem jetzigen berufsqualifizierenden Abschluß, also dem normalen Ende eines Studienganges, eine Selektions-Schwelle mit einem gewissen berufsqualifizierenden Charakter zu schaffen. Ich stehe dieser Überlegung kritisch gegenüber und bin damit anderer Meinung als Ihr Präsident. Zwar halte ich es für vernünftig und auch im Interesse der Studenten für geboten, in allen Studiengängen Zwischen-Examen beizubehalten beziehungsweise einzuführen. Ich glaube aber, daß es falsch wäre, diesem Zwischen-Examen einen berufsbezogenen Charakter zu geben, weil jedes Studium sich vom Ziel her in Inhalt, Aufbau und Methode auch als Ganzes versteht. Dies würde für den Aufbau der Studiengänge daher erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringen.

Für besonders dringlich halte ich den Aufbau des Postgraduiertenstudiums, der freilich die Rückführung der Studienzeit für das normale Studium zum berufsqualifizierenden Abschluß auf das auch im internationalen Vergleich übliche Maß voraussetzt. Wenn wir nach den Ursachen dafür fragen, warum unsere hohen Investitionen in die Forschung bisher nicht den Ertrag gebracht haben, den wir uns davon versprochen haben, dann gehört das Fehlen eines systematischen Studiums für die wissenschaftlich besonders Befähigten vielleicht dazu. Wir können uns meines Erachtens nicht mit den bisherigen Formen der Förderung und der Betreuung zufriedengeben; denn auch später, bei den immer noch hohen Studentenzahlen wird es schwer sein, wissenschaftlich besonders begabte junge Menschen vor dem berufsqualifizierenden Examen herauszufinden und besonders zu fördern.

Dies führt mich zu dem dritten Auftrag, den die Hochschulen in der Lehre zu erfüllen haben, dem der Weiterbildung. Es kann dabei nur, ich möchte das hier noch einmal deutlich betonen, um die wissenschaftliche Weiterbildung gehen. In anderen Bereichen der Weiterbildung haben wir ein gewachsenes Netz, das wir nicht zerstören dürfen und zu dem die Hochschulen auch nicht – dies müssen wir auch bei den Bedingungen des Weiterbildungsangebotes bedenken – in eine ungesunde Konkurrenz treten dürfen. Die wissenschaftliche Weiterbildung ist ein Instrument, um dem einzelnen neueste wissenschaftliche und technologische Entwicklungen zu vermitteln und damit zugleich auch eine essentielle Voraussetzung, um die Zeit des Wissenstransfers zu verkürzen und unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu sichern. Ich kann verstehen, wenn die Hochschulen heute diese Aufgabe wegen der Belastung durch die Erstausbildung nur zögernd aufgreifen, aber dieses Zögern muß überwunden werden. Die Hochschulen versäumen sonst eine Entwicklung, die in einem Jahrzehnt für ihre eigene Existenz großes Gewicht haben wird.

In diesem Zusammenhang lassen Sie mich noch ein Wort über die kulturelle und regionalpolitische Funktion einfügen, die Hochschulen haben oder zumindest haben sollten. Sie dienen zum einen der Erweiterung des Angebotes, sie sollten zum anderen aber auch dazu genutzt werden, um wissenschaftliche Erkenntnisse, um den Nutzen der Forschung so rasch wie möglich in die praktische Anwendung auch in ihrer Region zu bringen. Alle Bereiche unseres Lebens, nicht nur die industriellen und die großstädtischen, brauchen heute die Forschung zur Lösung ihrer Aufgaben.

Dies gilt nicht nur für den technischen Bereich. Wir dürfen nicht die kulturellen Impulse vergessen, die von den Hochschulen ausgehen können und ausgehen sollen.

In Zusammenhang mit den Aufgaben der Hochschule in der Lehre, insbesondere mit der Frage der Neustrukturierung des Studienangebotes, wird gegenwärtig erneut auch eine Neuordnung des Hochschulzugangs diskutiert, nicht zuletzt auch durch die Anregungen, die Herr Professor Berchem zu diesem Thema gegeben hat. Wegen der erheblichen Rückwirkungen, die eine grundsätzliche Neuordnung, insbesondere die Trennung des Schulabschlusses vom Hochschulzugang auf die Schule hätte, sollten die hiermit verbundenen Fragen in erster Linie von den Ländern erörtert werden. Dabei spielt unter anderem eine Rolle, wie hoch der Anteil derjenigen jungen Menschen sein wird, die das Abitur als Schulabschluß, nicht nur als Hochschulzugang sehen und suchen.

Wenn man einer solchen Entwicklung Rechnung tragen wollte, könnte man die Inhalte des Abiturs überdenken, den Hochschulzugang über ein eigenständiges Hochschuleingangsverfahren zu regeln. Für diesen Fall scheinen mir die Überlegungen Ihres Präsidenten bedenkenswert, den Schulabschluß nach 12 Jahren zu geben und das 13 Jahr für eine Vorbereitung auf das Studium zu nutzen, und zwar sowohl für die Fachhochschulen wie für die wissenschaftlichen Hochschulen, mit jeweils hochschulspezifischen Inhalten, möglicherweise in enger Verbindung von Schule und Hochschule.

Irgendwelche Festlegungen in dieser Frage erscheinen mir aber, weil nicht ausdiskutiert, viel zu früh und unangemessen. Für notwendig erachte ich aber, die gymnasiale Oberstufe möglichst rasch überall so zu gestalten, daß die großen Unterschiede und zum Teil vorhandenen Lükken in den Vorkenntnissen von Studienbewerbern gemindert werden; es kann nicht der Hochschule auf Dauer die besonders kostspielige Aufgabe überlassen sein, jungen Studenten die notwendigen Mindestvoraussetzungen für eine erfolgreiche Aufnahme ihres Studiums zu vermitteln.

Lassen Sie mich zurück zur zweiten wichtigen Aufgabe der Hochschulen, der Forschung kommen. Forschung und Lehre sind für das deutsche Hochschulsystem eng miteinander verbunden. Aber wir müssen ihre konkrete Zuordnung und ihre Organisation im Verhältnis zueinander überprüfen, um beiden zur vollen Entfaltung zu verhelfen. Die Hochschulen sind die wichtigste Stätte der Grundlagenforschung, und sie müssen es auch bleiben. Die Hochschulen werden aber die moderne, kostspielige Forschung nur dann in ihren Mauern bewahren können, wenn die Hochschulforschung grundsätzlich offen ist für alle Probleme, die unsere komplizierter werdende Gesellschaft hat oder auslöst. Wir müssen daher noch bestehende Hindernisse bei der Weiterentwicklung der Drittmittelforschung und bei der Zusammenarbeit zwischen Hochschule und Praxis, seien sie gesetzlicher, administrativer, tarifrechtlicher oder haushaltsmäßiger Art, abbauen. Gerade in der anwendungsorientierten Forschung sehe ich im übrigen auch eine besondere Aufgabe für Fachhochschulen.

Im Interesse der Erhaltung der modernen, aufwendigen Forschung in den Hochschulen ist es eventuell notwendig, in größerem Umfang als bisher auch in den Universitäten solche Forschungseinrichtungen zu schaffen, die nicht an die Grenzen der in Studiengänge gegliederten Fakultäten und Fachbereiche gehalten sind, die über eigene Mittel und eigenes Personal verfügen und die, soweit im Interesse kontinuierlicher Forschung erforderlich, auch von Lehraufgaben freigesetzt werden können. Das Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre ist sowohl institutionell wie in der Person des einzelnen Wissenschaftlers aus mehreren Gründen nicht mehr so radikal wie in der Gründungszeit der Berliner Universität aufrechtzuerhalten beziehungsweise zu verwirklichen. Bei dem heutigen Umfang der Lehraufgaben kann nicht jedes Hochschulinstitut Lehre und Forschung zugleich wahrnehmen, weil wissenschaftliche Höchstleistungen die Möglichkeit einer vollen Konzentration auf die Forschung erfordern.

Die Forschungsförderung muß in immer stärkerem Maße dem Schwerpunktprinzip folgen. Dies verlangt eine bessere Abstimmung von mittelfristigen Überlegungen auch zwischen den Hochschulen untereinander, damit die Investitions- und Berufungspolitik auf die Weiterentwicklung solcher Schwerpunkte abgestellt werden kann.

Damit kann ich überleiten von den Aufgaben der Hochschulen zu den ordnungspolitischen Prinzipien, in denen sie sie erfüllen sollten. Es sind nach meiner Überzeugung die Prinzipien der Differenzierung und des Wettbewerbs. Die Notwendigkeit der Differenzierung ergibt sich aus der Wissenschaft. Die Hochschulen wie auch die einzelnen Fachbereiche sollen und müssen im Interesse der Weiterentwicklung der Wissenschaft die Möglichkeit haben und bieten, Orginalität, eigenes Profil zu entwickeln.

Es kann nicht das Bestreben der Hochschulpolitik sein, daß an allen Universitäten bzw. an allen Fachhochschulen die gleichen Studiengänge aufgebaut, inhaltlich die gleichen Studienangebote gemacht und die gleichen Forschungsdisziplinen gepflegt werden. Eine solche Politik müßte zwangsläufig zu "Durchschnittswerten" führen, sie würde die Entwicklung von Spitzenleistungen und die Wahrnehmung von Aufgaben der Hochschulen, die eine gewisse Spezialisierung erfordern, verhindern. Es geht bei der Differenzierung nicht darum, gute und schlechte Hochschulen und Fachbereiche zu planen oder zu schaffen, aber es geht darum, der Ausprägung besonderer Qualität Raum zu geben.

Eine Differenzierung muß sowohl in der Forschung wie in der Lehre erfolgen. Sie kann sich auf ganz unterschiedliche Themen und Aufgaben beziehen, zum Beispiel auf die Entwicklung thematisch bestimmter Forschungszentren, aber auch auf besondere Studienangebote bis hin zu der Entwicklung von "Sonderlehrbereichen", sie kann sich in der Entwicklung von Programmen für den wissenschaftlichen Nachwuchs1 von Postgraduiertenstudien, oder auch in der Entwicklung von Angeboten für die Weiterbildung zeigen; sie kann die besonders intensive Pflege der Verbindung zum regionalen Einflußbereich der Hochschule, die systematische Anwendung moderner Medien oder auch die Entwicklung besonderer Studienangebote für eine spätere Tätigkeit im Ausland oder für ausländische Studenten bei uns und schließlich auch neue Formen der Kooperation in der Forschung mit ausländischen Hochschulen zum Gegenstand haben.

Differenzierung ist eine wichtige Voraussetzung für einen qualitativen Wettbewerb der Hochschulen. Die deutschen Hochschulen haben fast in allen Zeiten in einem von den deutschen Staaten bzw. den Ländern geförderten Wettbewerb gestanden, der allerdings anderen Charakter hatte als der zwischen amerikanischen Universitäten. Denn es ging fast nie um den Wettbewerb um Studenten zur Erhöhung der Einnahmen der Universität, da die staatlich getragenen deutschen Hochschulen einen solchen Wettbewerb nicht nötig hatten. Es ging aber für die Staaten und Länder um ihr kulturelles Ansehen, für die Hochschulen um ihre wissenschaftliche Reputation und damit um den Wettbewerb um gute Wissenschaftler. Die Überschaubarkeit der Hochschulen sorgte dafür, daß die Leistungen des einzelnen bekannt wurden und bewertet werden konnten. Das Berufungssystem erlaubte eine differenzierte Berufungspolitik, die den qualitativen Unterschieden Rechnung tragen und qualitative Akzente fördern konnte.

Das gegenwärtige Hochschulsystem enthält solche Wettbewerbselemente nur noch in geringem Maße. Ein Wettbewerb um Studenten ist in Zeiten hoher und noch wachsender Studentenzahlen kaum zu erwarten und in Numerus-clausus-Fächern dank des Verteilungsprinzips unmöglich. Der Wettbewerb in der Forschung ist erschwert durch die heutigen Rahmenbedingungen des Berufungssystems, durch die Wirkungen der großen Zahlen auch innerhalb des Lehrkörpers, vor allem aber durch das Fehlen eines spezifischen, gewichtigen Eigeninteresses der Hochschulen. In begrenztem Umfange findet Wettbewerb noch statt bei der Bildung von Forschungsschwerpunkten, insbesondere bei den Sonderforschungsbereichen, und bei der Einwerbung von Drittmitteln. Diese Ansätze müssen wieder gestärkt werden. Die Hochschulen müssen dabei auch ein Eigeninteresse an den besonderen Leistungen gewinnen, die sie im Wettbewerb erbringen.

Voraussetzung für eine Intensivierung des Wettbewerbs ist daher ein Überdenken des Systems der Hochschulfinanzierung. Richtwerte sind ein gutes Instrument für eine gewisse Grundausstattung, aber sie dürfen nicht zum alleinigen Prinzip werden. Wir müssen den Hochschulen die Möglichkeit geben, einen Teil der Einnahmen, die sie durch ihre Tätigkeit erzielen, im Rahmen sehr allgemeiner staatlicher Rahmen-Vorschriften nach eigener Bestimmung zu verwenden. Dies könnte auch zur Entbürokratisierung beitragen. Hiermit könnten insbesondere folgende Aufgaben nach den eigenen Vorstellungen der Hochschulen und damit im Rahmen ihres eigenen Profils gefördert werden: Die Finanzierung von Forschungsschwerpunkten, die die Hochschule selbst bestimmt hat, der wissenschaftliche Nachwuchs, herausragende Forscher, die internationalen Beziehungen der Hochschule.

Ein wesentlicher Aspekt der Hochschulfinanzierung ist die Überprüfung der Leistungen der Hochschulen in der Krankenversorgung. Dieses Thema ist wegen der Kostenprobleme im Gesundheitswesen außerordentlich sensibel, es muß aber im Interesse der Hochschulen aufgegriffen werden.

Lassen Sie mich abschließend ein Wort zur internationalen Zusammenarbeit der Hochschulen sagen, die gerade bei der Analyse unserer eigenen Probleme und der Darstellung der Perspektiven oft außer acht bleibt. Die internationale Zusammenarbeit in der Wissenschaft ist aber nicht nur für deren Weiterentwicklung, sondern auch für die auswärtige Kulturpolitik und damit für unsere Politik überhaupt lebenswichtig. Die Forschung muß sich am jeweiligen Stand des neuesten Wissens orientieren, gleich in welchem Lande er erreicht wurde. Das erfordert eine gute Kenntnis der wissenschaftlichen Entwicklung in anderen Ländern, die nicht allein durch Lektüre der wissenschaftlichen Veröffentlichungen gesichertt werden kann.

Die technisch-wissenschaftliche Entwicklung wird Geräte produzieren und für die weitere Forschung erforderlich machen, die nicht mehr durch ein Land allein zu finanzieren und zu nutzen sind. Internationale Gemeinschaftsinstitute auch in der Hochschulforschung, heute noch die große Ausnahme und auf wenige Disziplinen beschränkt, werden in der Zukunft dringender, zugleich werden die Auswirkungen wissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Entwicklungen immer universeller. Die Weiterentwicklung der internationalen Beziehungen in Politik, Wirtschaft und Kultur und das Ineinanderfließen von Arbeitsmärkten wird immer mehr Menschen nicht nur mit Fremdsprachenkenntnissen, sondern auch mit konkreten Auslandserfahrungen erfordern.

Die sich abzeichnende wachsende Intensität internationaler Beziehungen erfordert neue, flexiblere Regelungen und Strukturen. Es müssen optimale Voraussetzungen für die Mitarbeit ausländischer Wissenschaftler an deutschen Hochschulen geschaffen werden und umgekehrt für die Mitarbeit deutscher im Ausland. Dies betrifft Beurlaubungs- und Besoldungsvorschriften wie auch die Sicherung der notwendigen Arbeits- und Lebensbedingungen am Ort. Der Austausch der Studenten muß durch Aquivalenzregelungen gefördert werden, die sich auf gegenseitiges Vertrauen in die Qualität des Hochschulsystems der Partner stützen und auf die gegenwärtig noch dominierenden, zum Teil mir ängstlich und kleinlich erscheinenden Regelungen verzichten.

Alles dies sind Aufgaben, die sich nicht in einem Jahr verwirklichen lassen. Aber ich habe heute bewußt über diejenigen Probleme gesprochen, die sich uns in den neunziger Jahren stellen werden, auf die wir uns aber heute vorbereiten müssen. Wir brauchen die Rahmenkonzeption für morgen, um heute richtige Lösungsansätze zu finden.

Ich glaube auch, daß es uns allen gut tut, einmal über den Berg der unmittelbar vor uns liegenden Probleme zu schauen, nicht, um diese zu vergessen oder zu vernachlässigen, sondern um uns bewußt zu machen, daß Hochschulpolitik wieder einen größeren Zeithorizont und einen langen Atem benötigt, wenn sie zum Erfolg kommen will. Ich bin zuversichtlich, daß wir diese Aufgaben in guter Zusammenarbeit lösen können.


bay, 15.3.1999, URL www.michael-bayer.de