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Ein Angriff auf den Sozialstaat

Kommentar zum Standort-Deutschland-Papier


Der Bericht der Bundesregierung zur "Zukunftsicherung des Standortes Deutschland" vom 3. September 1993 stellt die Frage, ob "Deutschland Gefahr läuft, seinen Spitzenplatz in der Weltwirtschaft aufs Spiel zu setzen" und weiter "wie die Attraktivität des Standorts Deutschland auch weiterhin gewährleistet werden kann. Dazu sei vor allem "eine Veränderung in den Köpfen" nötig.

Dabei muß mensch ziemlich kopflos sein, um nicht gravierende Eingriffe auf den Sozialstaat und die Demokratie zu bemerken. Das Zauberwort der Bundesregierung zur Lösung aller Probleme ist "Wettbewerb". Die Maßnahmen, die hinter dem Zauberwort stecken, sind jedoch weniger zauberhaft:

Somit wird die Wirtschaft mit ihrem Wettbewerb des freien Marktes zum allein bestimmenden Faktor. Private Personen sollen Kontrolle und Macht über Bereiche erlangen, in denen bisher der Staat Verantwortung trägt (Kommunikationswesen, Deutsche Bundesbahn, Wasserwirtschaft).

Die Tendenz setzt sich auch in der Forschung und die Bildung fort: Im Bereich Forschung wird eine enge Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft gefordert. "Transfer und Umsetzung von Forschungsergebnissen sollen beschleunigt werden."

Das soll unter anderem durch "frühzeitige Beteiligung der Industrie an der wissenschaftlichen Themenfindung" erreicht werden. ALso wird nur noch das erforscht, was Profit abwirft. Dazu sollen sogar Gesetzenbestimmungen gelockert werden.

Im Bereich Bildung werden besonders zu lange Studienzeiten, hohe AbbrecherInnenquoten (kein Wunder bei den Studienbedingungen) und zu viele Studierende kritisiert. Wie diesem begegnet werden soll, ist bekannt: in erster Linie mit Sanktionen gegen die Studierenden. Sonst ist alt Bekanntes enthalten: Zweiteilung des Studiums, Stärkung des Wettbewerbs durch leistungsbezogene Mittelverteilung, Stärkung der Hochschulforschung (und nicht der Lehre ?!), etc.

Der Wettbewerb und Leistungskriterien sollen nicht nur in der Hochschule verstärkt Eingang finden, sondern auch in den Schulen. So soll das Abitur durch Straffung des Stoffes auf zwölf Schuljahre gekürzt werden und der Zugang zum höheren Bildungssystem durch die Kriterien Begabung, Neigung, Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft bestimmt werden.

Die Maßnahmen des Standort-Deutschland-Papieres sind Angriffe auf den Sozialstaat. Dort wo Profit- Interessen zum allein bestimmenden Faktor werden, wird die Demokratie gefährdert. Durch Gesetzeslockerungen und Verlagerung von Staatverantwortung auf Privatpersonen wir die Demokratie weiter ausgehöhlt. Dabei ist der Angriff auf das Bildungssystem und die Studierenden nur ein Baustein von mehreren. Wenn wir einen weiteren Rückschritt der gesellschaftlichen Entwicklung nicht wollen, ist es höchste Zeit, Widerstand zu leisten.


Quellennachweis: Arbeitskreis Hochschulpolitik. AStA Uni Marburg
bay, 15.3.1999, URL www.michael-bayer.de