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Selbstdarstellung: Grüner Untergrund an den Hochschulen

Quelle: Bundeskoordination grün-naher Hochschulgruppen, 1997: Grüner Untergrund an den Hochschulen. Selbstdarstellung der Bundeskoordination grün-naher Hochschulgruppen,
http://www.gruene.de/ghg-boko/willk.htm (29.1.1999, nicht mehr online).

Seit Mai 1996 haben wir, sechs Leute aus den Grünen Hochschulgruppen in Köln und Bonn, die Aufgabe einer bundesweiten Koordination übernommen. Damit wollen wir eine noch gar nicht so alte Struktur beleben, die vorher von Menschen aus Hannover und Bielefeld ausgefüllt wurde. Einen Hochschulverband oder Vorstand kennen und brauchen wir nicht, da wir im Kollektiv arbeiten und alle Entscheidungen gemeinsam treffen. Auch eine strenge Satzung oder Geschäftsordnung haben wir nicht nötig, nur jemanden, der sich um die Finanzen kümmert. Ziel unserer Arbeit ist die Vernetzung der grün-nahen Hochschulgruppen und die Förderung überregionaler Zusammenarbeit von StudentInnen, die im grün-alternativem Bereich engagiert sind. Dazu dient ein viermal im Jahr erscheinender Rundbrief ("untergründig") und die einmal im Semester stattfindenden Bundestreffen.

Wir üben keine SprecherInnenfunktion aus, da wir hierfür kein Mandat besitzen. Alle grün-nahen Hochschulgruppen arbeiten autonom, d.h. von überregionalen Strukturen unabhängig. Politik über Presseerklärungen oder Stellungnahmen ist nicht unsere Aufgabe. Was wir leisten können, ist höchstens die Darstellung von Meinungsbildern und Diskussionsständen in den einzelnen Gruppen, wie sie an uns herangetragen werden. Wir wollen keinen grünen Hochschulverband nach dem traditionellen Muster, mit Vorstand, Satzung, Organen. Der Gedanke, daß sich dadurch eine Funktionärsmentalität herausbildet und sich auf zahllosen Posten NachwuchspolitikerInnen tummeln und abgehoben von der Basis agieren, ist für uns unerträglich.

Zur Zeit gibt es etwa 50 grün-nahe Hochschulgruppen im Bundesgebiet. Die Zahl der AktivistInnen ist meist sehr gering. Dennoch werden viele Gruppen von Wahlerfolgen überwältigt. Die grün-nahen Hochschulgruppen wollen das linke Spektrum an den Hochschulen erweitern. Die Gruppen sind sehr inhomogen zusammengesetzt und differieren in ihrer politischen Ausrichtung, in ihren inhaltlichen Ansätzen und in ihrer Vorliebe für Koalitionen stark. Wir empfinden dies nicht als Nachteil, sondern als stärkenden Vorteil. Da gibt es beispielsweise aus der Partei heraus organisierte Gruppen, die sich mit der Mutterpartei identifizieren können, oder Arbeitsgemeinschaften, oder StudentInnen von der Grünen Jugend, aber auch Gruppen, die sehr viel Wert auf kritische Eigenständigkeit legen und in einer bundesweiten Vertretung keinen grossen Sinn erblicken können.

Die soziale Situation der StudentInnen und der Hochschulen wurde von Bildungsminister Rüttgers weiter verschlechtert. Als ginge es beim Kürzen um neue Rekorde, wurde das BAföG verzinst – wenn auch nicht im ursprünglich gewünschten Masse. Die Antwort der StudentInnen ist deutlich: Nur ein Drittel aller Berechtigten nimmt die teure private Darlehensregelung in Anspruch.

Dazu kommt der Dammbruch in den von den Standortparteien CDU/SPD/FDP geführten Bundesländern Berlin, Sachsen und Baden-Württemberg, die vor Repressionen wie Studiengebühren, Bildungsgutscheinen und Zwangsberatungen mit anschliessender Exmatrikulation nicht länger zurückschrecken. Das sogenannte "Spar"paket der Regierung Kohl von 1996 hat jobbende StudentInnen renten- und krankenversicherungpflichtig gemacht. Mit den Abwicklungsverträgen der Berliner und Baden-Württemberger Hochschulen hat die Kürzungswut eine neue Dimension erreicht: Die ProfessorInnen stimmen Stellenkürzungen und Fachbereichszusammenlegungen an den eigenen Hochschulen zu. Aber auch rot-grüne Landesregierungen können gut kürzen, wie das Beispiel Hessen zeigt.

Für Hochschulpolitik hat sich das grüne Herz noch nie richtig erwärmen können. Das stellt leider keine Ausnahme unter den Parteien dar. Bildungspolitik dient auch unter der Standortfuchtel weiter als Steinbruch für fragwürdige Kürzungsmassnahmen. Die SPD hat den sogenannten BAföG-"Kompromiss" ins Spiel gebracht. Da müsste die Stunde der grünen Opposition schlagen. Aber Bildungs- und Hochschulpolitik rangiert in der politischen Bundesliga eben am unteren Tabellenende. Sie geht den StandortpolitikerInnen in Deutschland auf den Keks, weil damit angeblich keine Wahlen mehr zu gewinnen sind. Wir sehen das anders.

Was wir wollen

Die Ansätze der grün-nahen Hochschulgruppen gehen weit über reine Hochschulpolitik hinaus. Hochschulpolitik ist Sozial- und Gesellschaftspolitik. Bildung ist Menschenrecht! Das Prinzip der Chancengleichheit fordert, daß soziale Hürden abgebaut und positiv-fördernd auf Bildungsentscheidungen eingewirkt werden muss. Wir wollen gesellschaftliche Missstände aufdecken und Alternativen zu gesellschaftlichen Strukturen entwickeln, weil wir wissen, daß vor allem Frauen, MigrantInnen, Behinderte, und chronisch Kranke diskriminiert werden.

Wir sind gekauft!

Der Bundesvorstand von Bündnis 90/DIE GRÜNEN unterstützt die grün(nah)e Hochschularbeit der Gruppen mit 12.000 Mark plus Zuschüsse für zwei Bundestreffen jährlich. Wir halten diesen Beitrag für ein Minimum, um als Gruppenzusammenhang zu überleben. Da wir uns nicht als Verein konstituieren wollen, müssen wir mit diesen knappen Parteimitteln wirtschaften.

Wir erhalten keine Bundesmittel.

Unsere Perspektive

Eine soziale und ökologische Wende kann an den Hochschulen ihren Anfang nehmen. Utopien, Solidarität und Kreativität sind ein wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft. Wir werden viel Mut, Kraft, Phantasie und einen langen Atem brauchen, wenn wir immer wieder unsere berechtigten Fragen stellen wollen – auch an die grüne Partei. Unser Rundbriefname spricht es aus: Mit dem grünen Untergrund, mit der Basis, können wir uns identifizieren. Wir wollen uns in alle Politikbereiche einmischen. Wir wollen Teil einer Bewegung sein, die dazu beiträgt, die konservativ-liberale Bundesregierung 1998 wegzukriegen.


bay, 15.3.1999, URL www.michael-bayer.de