[ HoPo-WWW,
Textarchiv, Eckwertepapier]
Das Eckwertepapier
Die Grundlage der aktuellen Bildungspolitik
Zur Vorbereitung des ursprünglich geplanten bildungspolitischen Spitzengesprächs
("Bildungsgipfel") hat sich im
März und April 1993 eine Arbeitsgruppe aus VertreterInnen von Bund und Ländern
getroffen. Dabei waren u.a. die
Bundesministerien für Forschung und Technik, für Finanzen und für Bildung- und
Wissenschaft, das Bundes
kanzleramt sowie Wissenschafts- und Kultusministerien verschiedener Länder (auch SPD-
regierter). Diese
Arbeitsgruppe erstellte das sogenannte Eckwertepapier. Das Eckwertepapier war lange Zeit nicht
öffentlich, dem
AStA Marburg wurde es auf Anfrage verweigert.
Das Eckwertepapier macht deutlich, wie ernst es den PolitikerInnen diesmal ist: Es ist ein umfassender
Maß
nahmenkatalog mit konkreten Gesetzes- und Zeitplänen. Die ersten Schritte sind bereits für
1993 vorgesehen.
Mehr einleitende Worte
Einige Eckwerte
- Zweiteilung des Studiums in einen "theoriebezogenen, berufsqualifizierenden" Teil und die
darauf aufbauende
Ausbildung des "wissenschaftlichen Nachwuchses". Zeitrahmen: 1994 - 2005.
- Festlegung der Regelstudienzeiten einschließlich Praxissemester und
Prüfungen:
Gesetzesformulierungsvorschlag im Hochschulrahmengesetz (Bundessache!): Die Regelstudienzeit bis
zum ersten
berufsqualifizierenden Abschluß beträgt bei Fachhochschulen einschließlich
praktischer Studienzeiten vier Jahre.
Im übrigen beträgt die Studienzeit viereinhalb Jahre; darüber hinausgehende
Regelstudienzeiten dürfen nur in
besonders begründeten Ausnahmefällen festgesetzt werden... Zeitrahmen: 1993 - 1994.
- Festlegung strukturell-quantitativer Eckwerte ... mit dem Ziel, das Studium bis zum
berufsqualifizierenden
Abschluß inhaltlich zu entfrachten und in der jeweiligen Regelstudienzeit studierbar zu
machen...
Zeitrahmen: 1994 - 1995.
- Erlaß von Studienordnungen. Zeitrahmen: 1994 - 1995.
- Einschränkung der Möglichkeiten zu wiederholtem Studienfachwechsel.
Zeitrahmen: 1993 - 1994.
- Reduzierung der zahlreichen Angebote an Aufbau-, Zusatz- und
Ergänzungsstudiengängen. Zeitrahmen:
mittelfristig
- Verkürzung der Regelstudienzeit für das Studium der Medizin. Zeitrahmen: kurz- bis
mittelfristig
- Mittelzuweisung nach erfolgs- und qualitätsorientierten Kriterien und unter
Berücksichtigung der
Umsetzung der Studienstrukturreform. Zeitrahmen: beginnend 1994
- Aktualisierung des Dienstrechtes für Hochschullehrer unter
Leistungsgesichtspunkten. Zeitrahmen:
kurzfristig
- Bundesweite Einführung des freien Prüfungsversuchs in geeigneten
Fächern mit Hochschulabschluß- und
Staatsprüfung. Zeitrahmen: kurz- bis mittelfristig
- Festlegung verbindlicher Prüfungszeitpunkte für die Zwischen- und
Abschlußprüfungen,
Regelungen, die vorsieht, daß Studierende, die sich nach vier Semestern aus von ihnen zu
vertretenden Gründen
nicht zur Zwischenprüfung und nach Ablauf der Regelstudienzeit nicht zur
Diplomprüfung gemeldet
haben, als geprüft und zum ersten Mal durchgefallen gelten; dies muß für
Wiederholungsprüfungen
entsprechend gelten.
- Studiengebühren bei Überschreitung der Regelstudienzeit um 2 Semester; bei
weiterer Überschreitung (2
Semester) Exmatrikulation mit Prüfungsanspruch.
(Diese Maßnahmen laufen unter der Überschrift "Einbeziehung von Studierenden).
Zeitrahmen: 1993 - 1995.
Berücksichtigung des Studienerfolgs (Studienzeit, Mindestnote) bis zum
berufsqualifizierenden Abschluß bei
der Zulassung zur Promotion bzw. zum Graduiertenkolleg sowie bei der Gewährung von
Stipendien.
Zeitrahmen: kurz- bis mittelfristig
- Berücksichtigung der Studienzeiten bei Einstellung von Bewerbern im
öffentlichen Dienst und in der
Wirtschaft. [Erstaunlich, daß der Staat hier der Wirtschaft Vorgaben für ihre
Einstellungspraxis machen will.]
Zeitrahmen: kurzfristig.
- Stärkere Beteiligung der Hochschulen bei der Hochschulzulassung mit dem Ziel der
Profilbildung und des
Wettbewerbs zwischen den Hochschulen [führt zur Bildung von Elitehochschulen mit strengen
Selektionsverfahren und Billighochschulen mit entwerteten Abschlüssen.] Zeitrahmen: 1993 -
1994
Erhöhter Wettbewerb durch Leistungsvergleich der Hochschulen [Ranking]. Zeitrahmen:
kurzfristig
- Stärkung der Stellung der Dekane. Zeitrahmen: kurz- und mittelfristig
- Raschere Umsetzung der Ergebnisse der Forschung in die industrielle
Anwendung, engere Zusammenarbeit
von Hochschulen und Unternehmen. Zeitrahmen: Daueraufgabe
"Die im internationalen Vergleich forschungsbeeinträchtigenden Wirkungen von Regelungen, z.B.
des
Gentechnikgesetzes, des Tierschutzgesetzes, der Gefahrstoffverordnung und
des Arbeitszeitgesetzes nebst
der Praxis bei ihrem Vollzug, sind abzubauen oder vorausschauend zu vermeiden,...". Zeitrahmen:
Daueraufgabe
- Festlegung einer zwölfjährigen Schulzeit bis zum Abitur (Die Kultusminister
der Länder lehnen eine
Einbeziehung dieses Themas in die Arbeiten zur Vorbereitung des bildungspolitischen
Spitzengesprächs ab.)
Zeitrahmen: 1993 - 1995
Offensichtlich scheint auch in den meisten Fragen eine Übereinstimmung zwischen Bund und (den
beteiligten) Ländern
erzielt worden zu sein. Lediglich bei der Frage nach Geld scheint noch ein großer Dissenz zu
bestehen: Zahlen will
keiner! Das Eckwertepapier enthält zwar auch detailiertere finanzielle Eckdaten, aber der Bund
verweigert bisher eine
umfassende Beteiligung daran. Die Länder wollen (und können) die Mittel nicht allein
aufbringen.
Auffällig ist weiterhin die Tendenz zum bürokratischen Regularismus, zur
Vereinheitlichung, Gestaltungsfreiheiten
(für Hochschulen, Bundesländer, unterschiedliche Studienfächer) sind kaum
vorhanden, sie werden systematisch
eingeschränkt. Die Verwirklichung der Pläne erfolgt ausschließlich auf gesetzlichem
Wege oder per
Verwaltungsvollzug, so daß mensch selbst manche positiv erscheinende Maßnahme kritisch
betrachten muß. Die
Berücksichtigung didaktischer Fähigkeiten bei Berufungen z.B. soll laut Eckwertepapier
durch eine Änderung des
Hochschulrahmengesetzes (Streichung des Relativsatzes in $ 44 Abs. 1 Nr. 2 ("pädagogische
Eignung, die in der
Regel durch Erfahrungen in der Lehre oder Ausbildung nachgewiesen wird")) und durch
"Verwaltungsvollzug"
verwirklicht werden. Die Praxis in den entscheidenen von Professoren dominierten
Berufungskommissionen wird das
kaum beeinflussen.
Auch andere sehr sinnige Ideen, die z.T. seit Jahren von studentischer Seite gefordert werden, werden mit
Wischi-
Waschi-Maßnahmen begleitet:
Die Verbesserung der Studieninformation sowie Studien- und Berufsberatung soll durch die
Verbesserung der
Beratungsdienste vorgenommen werden (warum haben die das nicht längst getan?). Tutorien sollen
durch den Ausbau
von Tutorien eingeführt werden (Genial unter Berücksichtigung, daß die
erforderlichen Mittel nicht bereitgestellt
werden!).
Auch bei der "Verbesserung des Bafögs" findet sich nur der Satz "zeitgerechte Anpassung der
Fördersätze" nicht aber
eine konkrete Maßnahme, geschweige denn eine Finanzzusage. Die "Vereinheitlichung der
Förderungshöchstdauer
verbunden mit einer Anpassung an einheitliche Regelstudienzeiten" bedeutet wohl, daß in Zukunft
nicht mehr die reale
Studienzeit, sondern die Regelstudienzeit zum Maßstab genommen werden soll, also eine
Kürzung des Bafögs!
Das Eckwertepapier beschäftigt sich aber nicht nur mit der Studienreform, auch im
Forschungsbereich sind
Maßnahmen vorgesehen, die einem die Haare zu Berge stehen lassen können. In diesem
Zusammenhang kommen die
Damen und Herren PolitikerInnen auch zu einer erstaunlichen Erkenntnis: "Unter den Bedingungen der
Überlast ist
der Lehre an den Hochschulen vielfach Vorrang vor der Forschung gegeben worden." - Wie bitte?
Quellennachweis: Arbeitskreis Hochschulpolitik im AStA Uni Marburg
bay, 15.3.1999, URL www.michael-bayer.de