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BdWi: Hochschulpolitischer Appell

Quelle: BdWi, o.J.: Hochschulpolitischer Apell., o.J.

1. Wir, die unterzeichnenden Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer, wenden uns mit diesem Aufruf gegen die Grundrichtung der gegenwärtig von Bund und Länderregierungen betriebenen »Hochschulreform«. Ihre Maxime ist die bloße »Vermarktungsfähigkeit« von Produkten und wissenschaftlich qualifizierter Arbeitskraft und nicht der Wissenschafts- und Bildungsbedarf, der sich aus den grundlegenden sozialen und ökologischen Strukturproblemen der Gegenwartsgesellschaften und den inneren Erfordernissen des Wissenschafts- und Bildungssystems selbst ergibt. Sie eröffnet keinerlei Perspektiven, die nun schon seit Jahrzehnten währende Politik der Vernachlässigung und Auszehrung der Hochschulen zu beenden. Verfehlt ist die Beschränkung der Diskussion auf die Frage der Verbilligung von Studium und Wissenschaft und auf die ökonomische Verwertbarkeit (»Standort Deutschland«). So werden gerade die Potentiale der Wissenschaft beschädigt, die besonders dringend gebraucht werden: die Fähigkeit, die durch eben diese Ökonomie entscheidend hervorgebrachten Probleme der Industriegesellschaften und der globalen Risiken (Umweltzerstörung, Welthunger usw.) unvoreingenommen zu untersuchen und Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln.

2. Eine wirksame Hochschulreform ist notwendig. Sie muß breit ansetzen und die Sicherung der Finanzbasis, die Enthierarchisierung der Personalstruktur, die Demokratisierung der Entscheidungsgremien, die reale Gleichstellung der Frauen im Wissenschaftsbetrieb, die Suche nach innovativen Praxisbezügen in Forschung, Lehre und Studium ebenso umfassen wie neue Formen der Kooperation zwischen Hochschule und Gesellschaft.

3. Nach unserer Ansicht muß die Bildungs- und Wissenschaftspolitik den anhaltenden Trend zu höheren Bildungsabschlüssen unterstützen und fördern. Er muß perspektivisch in die uneingeschränkte soziale Öffnung der Hochschulen münden. Eine »natürliche« Grenze für die Aufnahmefähigkeit des Hochschulsystems gibt es nicht. Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, den individuellen und gesellschaftlichen Bildungswünschen mit künstlichen Schranken und äußerlichen Reglementierungen zu begegnen. Erforderlich ist eine konsequente Generalisierung der Hochschulzugangsberechtigung für Berufstätige.

4. Die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen muß beendet werden, um die finanziellen Grundlagen jeglicher Hochschulreform zu sichern. Eine expansive Wissenschafts- und Hochschulfinanzierung ist notwendig. Der provokative Rückzug des Bundes aus der Hochschulfinanzierung muß rückgängig gemacht werden. Wir treten für die Beibehaltung einer staatlichen studienplatzbezogenen Grundfinanzierung ein und lehnen es ab, die Mittelvergabe zunehmend an inhaltsleere, ausschließlich quantitative »Output«-Kriterien zu binden, wodurch eine gleichberechtigte proportionale bzw. vor allem öffentlich auszuhandelnde Ausstattung verschiedener Hochschulaufgaben zugunsten einer einseitigen Konzentration auf solche Leistungsmuster aufgegeben wird, die von externer Marktnachfrage der mächtigsten gesellschaftlichen Interessengruppen bestimmt sind. Die Finanzautonomie der Hochschulen ist auszuweiten und mit einer Stärkung ihrer Selbstverwaltung zu verknüpfen.

5. Wir lehnen die gegenwärtige Politik einer Entkoppelung von Forschung und Lehre und einer Absonderung privilegierter »wissenschaftsorientierter« von sog. »berufsorientierten« Studiengängen für die »Masse« der Studierenden ab. Hochschulreformpolitik muß nach unserer Ansicht am Grundgedanken der institutionell wie personell zu sichernden Einheit von Forschung und Lehre als strukturierendem Prinzip wissenschaftlicher Bildungs- und Erkenntnisprozesse festhalten. Erkenntnisgewinnung durch Forschung, Vermittlung und Diskussion wissenschaftlicher Probleme in Lehre und Studium sowie die Reflexion von Problemen praktischer Anwendung wissenschaftlicher Resultate in der Gesellschaft müssen sich ständig gegenseitig durchdringen. Für die »Einheit von Forschung und Lehre« gibt es keine ein für alle Mal gültigen institutionellen Lösungen. Eine auf transparenter arbeitsteiliger Integration beruhende innere Differenzierung der Hochschulen ist vereinbar mit der Spezialisierung auf einzelne Hochschulfunktionen und mit deren Professionalisierung.

6. Wir halten die Konzentration der offiziellen Hochschulpolitik auf die Frage der »Studienzeit« für einen vollständig verfehlten Ansatz. Sie läuft auf eine Regulierung des Studien- und Lehrverhaltens mit den Mitteln des rechtlichen Oktroi und der fiskalischen Sanktion hinaus. Sie verhindert systematisch jede ergebnisoffene Studienreformdiskussion und ersetzt sie durch eine innere Schließung der Hochschule. Eine Verkürzung der Durchschnittsstudienzeit kann kein unmittelbar anzusteuerndes Ziel sein, sondern nur Resultat einer Diskussion über den gesellschaftlichen Sinn des in den jeweiligen Studiengängen zu erwerbenden Wissens und folglich seines Umfangs. Bevor über Straffung des Studiums überhaupt geredet werden kann, muß gewährleistet sein, daß alle Studierenden unabhängig von ihrer sozialen Herkunft die Möglichkeit haben, sich auf ihr Studium zu konzentrieren.

7. Wir lehnen es ab, Studienzeitverkürzung durch die vertikale Differenzierung zwischen einem »berufsbefähigenden« Regel- und einem »wissenschaftsorientierten« Aufbaustudium für wenige zu durchzusetzen. Die Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Berufszielen kann für sich genommen keine Differenzierung unterschiedlicher Grade an »Wissenschaft« (in Gegenüberstellung zu bloßer »Berufsfähigkeit«) begründen. Bei durchaus unterschiedlicher Gewichtung müssen Praxisbezug, Theorieentwicklung und Forschungsorientierung als unabdingbare Merkmale von Wissenschaftlichkeit im Prinzip Bestandteil aller Studienphasen sein. Daraus ergibt sich gerade der innovative Charakter des Hochschulsystems. Ziel einer Studienreform kann nur sein, alle Studierenden zur selbständigen wissenschaftlichen Urteilsbildung und selbstbewußter Handlungskompetenz zu befähigen. Zur Studienreform gehört der Ausbau eines öffentlichen Sektors wissenschaftlicher Weiterbildung an den Hochschulen. Die Notwendigkeit lebenslangen Lernens kann kein Grund für eine formale Verkürzung und Entwissenschaftlichung des Erststudiums sein. Umgekehrt gilt: je wissenschaftlich fundierter das Erststudium, umso entwickelter die Fähigkeit zum lebenslangen Lernen.

8. Wir setzen uns für eine gleichwertige und zwischen allen Funktionseinheiten in fachlicher und sozialer Hinsicht durchlässige Hochschullandschaft nach dem Vorbild der integrierten Gesamthochschule ein. Nur eine solche Richtung der Hochschulreform sichert, daß öffentlich transparente Profilbildung, Differenzierung und Wettbewerb auf einer gemeinsamen Grundlage stattfinden können, statt in hierarchischer Segmentierung und ökonomischer Ungleichheit einzumünden. Angesichts des gegenwärtig existierenden noch zweigliedrigen Hochschulsystems bedeutet dies, daß der notwendige materielle Ausbau von Fachhochschulen und Universitäten von strukturellen Reformen an beiden Hochschultypen flankiert werden muß, die eine wechselseitige Integration von wissenschaftlichen Arbeits- und Bildungsprozessen fördern. Bedingung dafür ist, jede zusätzliche künstliche Differenzierung (wozu etwa Bestrebungen gehören, die Fachhochschulen mit dem System der dualen Berufsausbildung zu verschmelzen) zu verhindern. Die Festschreibung und weitere gesetzliche Fixierung eines »besonderen Bildungsauftrages« der Fachhochschulen ist abzulehnen. Die Notwendigkeit einer ungleichwertigen »hochschul-typen-gebundenen« Hochschulreife entfällt und ist daher abzuschaffen. Die Forschungsmöglichkeiten der Fachhochschulen sind zu erweitern. Das ist gleichbedeutend mit der Gewährung des Promotionsrechtes und der schrittweisen Etablierung eines wissenschaftlichen Mittelbaus.

9. Wir setzen uns für eine Personalstruktur ein, in der die einzelnen Personengruppen gleichberechtigt die verschiedenen Funktionen in Forschung, Lehre und weiteren wissenschaftlichen Dienstleistungen realisieren. [...]

Wegen eines Scannfehlers fehlt leider der restliche Text. Sorry


bay, 15.1.2001, URL www.michael-bayer.de