[ HoPo-WWW, Textarchiv ]

Der Wettbewerb ist plötzlich in aller Munde

Rektoren und Professoren auf der Suche nach einem neuen Leitbild: Deutsche in Aufbruchstimmung?

Von Karl-Heinz Heinemann, Frankfurter Rundschau 2.2.95

GÜTERSLOH. Detlef Müller-Böling, der Leiter des Centrums für Hochschulentwicklung, entdeckte Aufbruchstimmung unter Rektoren und Professoren im abseitig gelegenen Gütersloh. In der Tat -- von der Eröffnungstagung des ,,Centrums für Hochschulentwicklung'' (CHE) konnte man mit dem Eindruck nach Hause fahren, daß in den Hochschulleitungen reformbegierige Präsidenten nur darauf warten, endlich in die Welt des Wettbewerbs aufzubrechen. Doch in der Realität scheint sie ja noch irgendetwas daran zu hindern -- nur was?

Mit der Tagung ,,Qualitätssicherung in Forschung, Lehre und Management'' trat das Institut erstmals an die Öffentlichkeit. Das Interesse in den Hochschulen war groß, wohl weniger, weil das Programm der Tagung so aufregend war, sondern weil man sich das Heil aus dieser Liaison von Privatinitiative und korporativer Vertretung der staatlichen Hochschulen erhofft. Wettbewerb, Autonomie und Delegation von Verantwortung -- das ist das Credo des Vorsitzenden der Bertelsmann-Stiftung, Reinhard Mohn, der das Centrum mit drei Millionen Mark im Jahr finanziert. Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Hans-Uwe Erichsen, hat sich diese Botschaft zu eigen gemacht, und so entstand vor einem Jahr das Güterloher Centrum.

Man könne heute in die Hochschulen eine Milliarde Mark hineingeben und es wäre nicht einmal ein Plumps zu hören, so sprächen die Politiker über die Hochschulen, beklagte sich der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Hans Uwe Erichsen, in seiner Eröffnungsansprache. Wenn die Hochschulen nicht überzeugend vermittelten, daß das öffentliche Geld bei ihnen effektiv verwendet werde, dann werde der Staat ihnen das Heft aus der Hand nehmen. Also müsse man selbst solche lange Zeit als unanständig geltenden Dinge wie Evaluation der Lehr- und Forschungsleistungen, Controlling, Kostenrechnung in die Hand nehmen, so Erichsens Botschaft. Die in Gütersloh versammelten Hochschulvertreter haben sie verstanden -- was nicht heißt, daß sie an deutschen Hochschulen unumstritten ist. Mit Widerstand gegen den technokratischen Reformkurs, wie er sich in Gütersloh andeutete, muß Erichsen eher aus einer ständisch-konservativen Ecke als von denen rechnen, denen in der Vergangenheit diese marktwirtschaftliche Orientierung suspekt gewesen wäre.

Detlef Müller-Böling, Rektor der Uni Dortmund, bevor ihn Reinhard Mohn auf seine Gehaltsliste setzte, entwarf sein Leitbild der neuen deutschen Hochschule: Sie wird zwar wettbewerblich und wirtschaftlich sein, aber nicht privat, sondern staatlich finanziert, wie bisher.

Der Weg zu Wettbewerb und Wirtschaftlichkeit führt über die Qualitätssicherung, und dafür ist der zentrale Begriff Evaluation. Man hatte sich zahlreiche ausländische Referenten eingeladen, die über ihre Erfahrungen mit der Bwertung der Leistungen in Lehre und Forschung berichteten. In fast allen europäischen Ländern müssen Hochschulinstitute über ihre Leistungen Rechenschaft geben. Sei es, daß sie selbst ihre Leistung bewerten und sich Fachkollegen zu sogenannten Peer-Reviews ins Haus holen, oder daß, wie beispielsweise in Großbritannien, eine staatliche Kommission ihre Selbsteinschätzungen zensiert und gegebenenfalls eine Prüfungskommission ins Haus schickt. Dem werden sich die deutschen Hochschulen nicht mehr lange verschließen können. Erste Ansätze dazu gibt es.

Detlef Müller-Bölings Forderungen gehen weiter: Die Hochschulen sollten nach Erfolgskriterien alimentiert werden, etwa nach der Zahl der Studierenden und der erfolgreichen Examina. Dann würden die Studenten vielleicht nicht mehr als Last empfunden, und es würde auch gute Lehre belohnt. Apropos Belohnung: In der wirtschaftlichen Hochschule, wie sie sich Müller-Böling wünscht, würden Professoren nicht nach Besoldungsgruppen, sondern nach Leistung bezahlt. Dann würden sie wieder {\it für} die Hochschule arbeiten und nicht lediglich {\it in} der Hochschule. Diese von einem Insider vorgetragene Kritik wurde in der Gütersloher Stadthalle klaglos, sogar verhalten beifällig geschluckt.

Auch die Forschungsergebnisse müssen sich messen lassen: Etwa mit den Methoden der Bibliometrie -- leicht überspitzt --, als Umrechnung von Forschung in Festmeter Holz, die für die Verbreitung ihrer Ergebnisse aufgewandt werden.

Müller-Böling hält die zentralistische Lenkung der Studentenströme durch den Numerus clausus für verzichtbar und kontraproduktiv. Die Annahme, daß der Abiturnotendurchschnitt ein Vergleichsmaßstab für die Studierfähigkeit sein könne, sei völlig ungerechtfertigt. Deshalb sei eine freie Auswahl der Studierenden durch die Hochschulen -- und vice versa eine freie Hochschulwahl durch die Studierenden einfacher und gerechter. Erst nach drei vergeblichen Bewerbungen komme ein Studienbverwerber in ein ZVS-Verfahren. Das sei verfassungsrechtlich durchaus machbar, meint Müller-Böling.

Hochschuleingangsprüfungen sind ebensowenig tabu wie Studiengebühren: ,,Dabei geht es mir weniger um die Erschließung neuer Finanzquellen als vielmehr um ein Instrument, die Geldströme an den Ort der besten Verwendung zu bringen und den Studenten ein völlig neues Gewicht im Kräfteverhältnis der Hochschulen zu geben.'' Doch bevor eine neue Behörde über Regeln und Ausnahmen beschließt, solle man lieber gleich ein Bildungsgutschein-System einführen, das den gleichen Steuerungseffekt hätte.

Doch während in Schweden und den Niederlanden die Studenten auch bei der Evaluation mit einbezogen werden, durften sie hier gar nicht erst mitdiskutieren. Ein einziger Student konnte sich -- nur dank massiver Eigeninitiative -- unter die graue Schar der Mangnifizenzen und Spektabilitäten mischen, die von der Professionalität der Bertelmannschen Kongreßorganistation sichtlich beeindruckt war. Ein Aufbruch in Gütersloh? Jahrelang hatte man den Eindruck, daß die Stagnation an den Hochschulen weder von oben, aus den Ministerien, noch von unten, aus der Studentenschaft, aufgebrochen würde. Nun scheint die Reform wieder einen Namen zu haben: Effizienz und Wettbewerb. Ob das zur Legitimation der Hochschulen reicht, wenn nicht mehr über die Funktion von Wissenschaft und Bildung in der Gesellschaft und über die Inhalte einer reformierten Hochschule gesprochen wird, scheint fraglich.