Neben den berechtigten Qualifizierungsinteressen der Wirtschaft müssen die sozialen und Qualifikationsinteressen der Studierenden, die Forschungsinteressen der WissenschaftlerInnen und die gesellschaftlichen Interessen an Innovation wieder gehört und berücksichtigt werden. Mit anderen Worten: Es müßte nicht mehr und nicht weniger erreicht werden als der Bruch mit dem Primat der Wirtschaftsinteressen. Oder, wie es Torsten Bultmann formuliert: "Grundlage jedes alternativen Denk- und Handlungsansatzes kann daher nur die Re-Politisierung der Wissenschaft sein."
Ob das gelingt, hängt entscheidend davon ab, wie sich die verschiedenen Interessen selbständig politisch artikulieren. Da hilft es beispielsweise nicht weiter, wenn StudentInnen Argumente vorbringen, warum diese oder jene Idee dem Wirtschaftsstandort Deutschland stützen. Die Lobbyverbände der Unternehmen können die Interessen der Wirtschaft selbst besser vertreten; sie sind nicht auf Ideen von (mangels erkennbarer Koordination politisch immer einflußloseren) StudentInnen angewiesen. Doch statt selbstbewußt und im wohlverstandenen Egoismus eigene, berechtigte Forderungen – etwa ein selbstbestimmtes Studium – öffentlich zu vertreten, klopfen studentische Vollversammlungen häufig schon von vornherein ihre Argumente auf vermeintliche Konsensfähigkeit ab. Leider orientiert sich die nicht selten an dem als gesetzt betrachteten Primat der Wirtschaft.
Auch Gewerkschaftsfunktionäre scheinen den Kampf um eine Hochschulpolitik aufgegeben zu haben. So plädierte Gerd Köhler, 1996 in der Geschäftsführung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) für Hochschulen und Wissenschaft verantwortlich, "ohne Widerspruch aus seiner Organisation dafür, sich auf die bislang als neoliberal kritisierte Politik einer leistungsorientierten Hochschulfinanzierung und eines an betriebswirtschaftlichen Ideen orientierten Hochschulmanagements einzulassen". Und der damalige GEW-Vorsitzende, Dieter Wunder, befand: "Wir gewinnen neue Spielräume, wenn wir uns darauf beschränken, den gegebenen Rahmen auszufüllen" (HEINEMANN).
Auf den Rahmen beschränken, darin üben sich auch die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten der Hochschulen. Ihre Bundeskonferenz hat ein 23seitiges Positionspapier vorgelegt, das das vorgeschlagene Anreizsystem um Kriterien zur Frauenförderung ergänzt. (CHE-Mitarbeiter Klaus Neuvians stellte übrigens 1996 während der Achten Jahrestagung der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (BuKoF) "Anreizsysteme im Zusammenhang mit den Globalhaushalten" vor als "Chancen für innovative Vorhaben.") Der Arbeitskreis der Wissenschaftlerinnen von Nordrhein-Westfalen hat mit dem gleichen Anliegen ein Memorandum vorgelegt.
Über die defensive Situation alternativer Akteure sollten keine Zweifel aufkommen, meint auch Torsten Bultmann. Er empfiehlt aus hochschulinterner Perspektive zunächst eine Praxis des Sand-Ins-Getriebe-Streuens oder der schrittweisen Institutionalisierung von Kritik. "Dabei wäre aktuell schon viel gewonnen, wenn sich eine Gegenöffentlichkeit zur Schein-Evidenz ökonomisch-technokratischer Rationalitätskriterien, mit denen aktuell der Umbau der Hochschulen in Angriff genommen wird, ausbilden würde. Eine Politisierung von Effizienzkriterien führt allein insofern in die erforderliche Richtung, als sich etwa anhand der Personal- und Entscheidungssstrukturen plastisch zeigen läßt, daß das wirkliche Rationalitätsdefizit der Hochschulen ein Demokratie- und Politikdefizit ist."
Der Hannoveraner Wirtschaftstheoretiker Franz Haslinger stützt diese These mit seinen grundsätzlich Bedenken gegen Effizienzfaktoren als Kriterium der Mittelvergabe an Hochschulen . Effizienz heiße, ein gegebenes Ziel mit geringstem Aufwand zu erreichen (Kosteneffizienz) – oder mit vorhandenen Mitteln das Ziel möglichst genau zu treffen (technische Effizienz). Zunächst muß also ein Ziel definiert werden. Relativ unproblematisch ist das, sollen beispielsweise mit einer gegebenen Zahl an DozentInnen möglichst viele HochschulabsolventInnen erreicht werden. Soll die Qualität der Ausbildung in die Rechnung eingehen, werde es schwierig: Wann sind AbsolventInnen möglichst gut ausgebildet? fragt Haslinger und nimmt "hohe selbständige Problemlösungsfähigkeit" oder "breite Fachkenntnis" an. "Da aber keine Universität eine universelle Problemlösungskapazität vermitteln kann, müßte geklärt werden, welche Probleme ein Absolvent [...] auf jeden Fall lösen können sollte."
Genau das setzt eine Gewichtung in bedeutendere und unbedeuten-dere Problemfelder voraus, für die kaum objektive Maßstäbe existierten. Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine bildungspolitische Frage. So wird ersichtlich, was die Debatte um eine Reform der Hochschulstrukturen verdrängt: Nötig ist eine inhaltliche Studienreform – und zwar als Ergebnis einer breiten gesellschaftspolitischen Debatte.